Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
verzichtete man auf Adventskränze, Weihnachtssänger und Knallbonbons. Aber ein Weihnachtsbaum, wenn auch anders dekoriert, durfte natürlich nicht fehlen: Eine gewaltige Tanne ragte am anderen Ende des Ballsaals auf und stieß mit der Spitze fast an die Decke. (Als Will Charlotte gefragt hatte, wie um alles in der Welt sie diesen Baum ins Haus bekommen hatte, hatte Charlotte nur mit den Händen gewedelt und irgendetwas von Magnus gemurmelt.) Kerzen balancierten auf jedem Tannenzweig – Tessa konnte nicht erkennen, auf welche Weise sie befestigt waren – und tauchten den Saal in warmes Licht.
Von den Zweigen wie auch von allen Wandleuchtern, Kerzenständern und Türgriffen baumelten Kristallrunen, jede so durchscheinend wie Glas, und brachen das Licht in schillernde Regenbogenfarben. Die Wände waren mit Girlanden aus Efeu und Ilex geschmückt, deren rote Beeren zwischen dem grünen Blattwerk dunkel schimmerten. Hier und dort hing ein grüner Mistelzweig mit kleinen weißen Beeren. Selbst Churchs Halsband war auf diese Weise verziert – was den Kater dazu veranlasste hatte, sich mit wütender Miene unter einen der festlich dekorierten Tische zu verziehen.
Tessa konnte sich nicht erinnern, jemals so viele Speisen auf einmal gesehen zu haben: Die Tische bogen sich förmlich unter den Servierschüsseln mit Hühnerbrust- und Putenscheiben, Wildgeflügel und Hasenbraten, Weihnachtsschinken und Pasteten und hauchdünnen Sandwiches. Als Nachtisch gab es Eiscreme und Trifle, Mandelsulz und Sahnepudding, leuchtend bunte Gelees, Tipsy Cake und mit Brandy flambierten Christmas Pudding – begleitet von eisgekühltem Sorbet, Glühwein und Weihnachtspunsch. Überall lagen Füllhörner mit Süßigkeiten und Bonbons herum, dazu Nikolaussäckchen, die entweder ein Stück Kohle, einen Würfel Zucker oder ein Zitronenbonbon enthielten, um damit dem Beschenkten mitzuteilen, ob sein Verhalten im vergangenen Jahr boshaft, süß oder säuerlich gewesen war.
Die Bewohner des Instituts hatten am späten Nachmittag unter sich Weihnachten gefeiert und sich gegenseitig beschert, bevor die ersten Gäste eintrafen: Charlotte, die auf Henrys Schoß balancierte, hatte ein Päckchen nach dem anderen geöffnet – fast alles Geschenke für das Baby, welches die beiden im April erwarteten. Der Name stand übrigens inzwischen fest: Der Neuankömmling würde Charles getauft werden. »Charles Fairchild«, hatte Charlotte stolz verkündet und die kleine Decke hochgehalten, die Sophie für sie gestrickt hatte, mit einem adretten C.F. in einer Ecke.
»Charles Buford Fairchild«, hatte Henry berichtigt.
Charlotte hatte ihm eine kleine Grimasse geschnitten, woraufhin Tessa sich lachend erkundigte: »Fairchild? Nicht Branwell?«
Verlegen lächelte Charlotte. »Ich bin die Konsulin. Und es wurde beschlossen, dass das Kind in diesem Fall meinen Geburtsnamen tragen wird. Henry hat nichts dagegen, oder Henry?«
»Nein, es macht mir nichts aus«, bestätigte Henry. »Zumal Charles Buford Branwell ziemlich albern gewirkt hätte, wohingegen Charles Buford Fairchild einen hervorragenden Klang hat.«
»Henry …«
Tessa musste lächeln, als sie sich nun daran erinnerte. Sie hatte sich einen Platz in der Nähe des Weihnachtsbaums gesucht und beobachtete die Mitglieder der Brigade, die in ihren Festroben in den Saal strömten und sich lachend unterhielten: die Frauen in warmen Wintertönen mit Gewändern aus rotem Satin, saphirblauer Seide und goldenem Taft und die Männer in eleganten Abendanzügen. Sophie stand neben Gideon, strahlend und entspannt in einem wunderschönen grünen Samtkleid; dagegen schwirrte Cecily mit leuchtenden Augen und einem blauen Abendkleid durch den Saal, gefolgt von Gabriel, der ihr mit seinen langen Gliedern, wirren Haaren und einem liebevoll-amüsierten Ausdruck in den Augen hinterherlief.
Ein wuchtiger Christklotz, umwunden mit Efeu- und Ilexkränzen, brannte in dem riesigen Kamin und über dem Sims hingen Netze mit vergoldeten Äpfeln, Walnüssen, buntem Popcorn und Süßigkeiten. Auch für Musik war gesorgt, denn Charlotte hatte endlich einen nützlichen Verwendungszweck für Bridgets Gesang gefunden – ihre Stimme erhob sich hell und klar über die lieblichen Töne der Instrumente:
»Oh weh, mein Lieb, tust unrecht mir,
Grob fortzustoßen mich im Streit.
So lange hielt ich treu zu Dir
Voll Glück an Deiner Seit’.
Greensleeves war all mein’ Freud’;
Greensleeves war mein Entzücken;
Greensleeves war mein gülden
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