Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
nächsten Moment nahm Will die Hände von Jems Schultern und wandte sich zum Gehen.
Cecily stand genau dort, wo sie auch schon am Vormittag gestanden hatte, ein Messer in der rechten Hand. Sie zielte, holte aus und ließ die Waffe durch die Luft zischen. Die Spitze bohrte sich in die Holztafel, knapp außerhalb der schwarzen Zielscheibe.
Das Gespräch mit Tessa hatte sie nicht gerade beruhigt – im Gegenteil, es hatte sie nur zusätzlich aufgewühlt. Tessa verströmte eine Art resignierte Trauer, die Cecily in eine gereizte, nervöse Stimmung versetzt hatte. So wütend sie auch auf ihren Bruder sein mochte, wurde sie dennoch das Gefühl nicht los, dass Tessa sich tief in ihrem Herzen um Will sorgte und eine Furcht hegte, über die sie nicht sprach. Aber Cecily wollte unbedingt mehr darüber erfahren. Denn wie sollte sie ihren Bruder beschützen, wenn sie nicht wusste, wovor man ihn beschützen musste?
Nachdem sie das Messer geholt und zur Wurflinie zurückgekehrt war, hob sie es erneut an und schleuderte es in Richtung Wand. Doch dieses Mal blieb das Messer noch weiter außerhalb der Zielscheibe stecken und entlockte Cecily ein wütendes Schnauben. »Uffern nef!«, murmelte sie auf Walisisch. Ihre Mutter wäre bestimmt entsetzt gewesen, aber andererseits war sie ja auch nicht hier.
»Fünf«, sagte eine schleppende Stimme vom Korridor aus.
Cecily erstarrte und drehte sich langsam um. Ein Schatten stand in der Tür, ein Schemen – Gabriel Lightwood, der nun den Fechtsaal betrat, mit zerzausten braunen Haaren und klaren grünen Augen. Er war so hochgewachsen wie Will, vielleicht auch größer, allerdings schlaksiger als ihr Bruder. »Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen, Mister Lightwood.«
»Ihr Wurf«, erklärte er und machte eine elegante Armbewegung. »Ich bewerte ihn mit fünf Punkten. Ihr Geschick und Ihre Technik mögen vielleicht noch etwas Arbeit erfordern, aber die natürliche Begabung ist zweifellos vorhanden. Was Ihnen fehlt, ist Übung.«
»Will hat mich trainiert«, meinte Cecily, während Gabriel näher kam.
Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. »Wie ich schon sagte …«
»Soll das heißen, dass Sie bessere Ergebnisse erzielen könnten?«
Gabriel hielt kurz inne und zog dann das Messer mit einem Ruck aus der Holztafel. Die Klinge funkelte, während er sie zwischen seinen Fingern wirbeln ließ. »Das könnte ich durchaus«, verkündete er. »Ich wurde von den Besten unterrichtet und habe meinerseits Miss Collins und Miss Gray trainiert …«
»Ja, davon hab ich gehört. Bis Ihnen das Ganze zu langweilig wurde. Nicht gerade eine Qualität, die man sich von einem potenziellen Tutor wünscht«, erwiderte Cecily kühl. Sie erinnerte sich zwar an das Gefühl von Gabriels Händen auf ihren Hüften, als er sie im Garten von Lightwood House hochgehoben und ihr auf die Beine geholfen hatte, aber sie wusste auch, dass Will ihn nicht mochte – und der selbstgefällige Ton in seiner Stimme ärgerte sie.
Nachdenklich berührte Gabriel die Messerspitze, woraufhin ein roter Blutstropfen aus seiner Fingerkuppe quoll. Seine Hände waren schwielig, mit feinen Sommersprossen auf den Handrücken. »Sie haben ja Ihre Kampfmontur gewechselt«, bemerkte er.
»Die war mit Blut und Sekret bespritzt.« Cecily warf ihm einen Blick zu und musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Wie ich sehe, haben Sie Ihre nicht gewechselt.«
Einen Sekundenbruchteil huschte ein seltsamer Ausdruck über Gabriels Gesicht, der im nächsten Moment jedoch wieder verschwunden war. Aber Cecily hatte bei ihrem Bruder oft genug beobachtet, wie er seine Gefühle zu verbergen versuchte, dass sie die Anzeichen sofort wiedererkannte. »Ich habe keine andere Kleidung bei mir«, erläuterte Gabriel. »Außerdem weiß ich noch nicht, wo ich in Zukunft leben werde. Ich könnte auf einen unserer Familiensitze zurückkehren, aber …«
»Sie ziehen es in Erwägung, im Institut zu bleiben?«, fragte Cecily überrascht, da sie diesen Gedanken in seinem Gesicht gelesen hatte. »Was sagt Charlotte denn dazu?«
»Sie wird es erlauben.« Gabriels Miene veränderte sich kurz und ein verwundbarer Ausdruck spiegelte sich in seinen Augen, in denen bisher Härte gestanden hatte. »Mein Bruder ist schließlich hier.«
»Ja«, bestätigte Cecily. »Genau wie meiner.«
Gabriel schwieg einen Moment, als wäre ihm dieser Gedanke noch gar nicht gekommen. »Will …«, setzte er an. »Sie sehen ihm wirklich sehr ähnlich. Das ist … ziemlich verwirrend.«
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