Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
Wenn es sein muss, konfrontiere ihn und verlange von ihm, mit der Wahrheit herauszurücken, doch bitte mach nicht den Fehler, dich von ihm abzuwenden, weil du glaubst, er sei nicht mehr zu retten. Bitte verbann ihn nicht aus deinem Herzen. Denn sonst wirst du das eines Tages bitterlich bereuen.«
Adressat: Die Kongregation
Absender: Konsul Josiah Wayland
Meine aufrichtige Entschuldigung für die verspätete Antwort, Gentlemen. Doch ich wollte sicherstellen, dass ich meine Ansichten nicht in einem Zustand voreiliger Hast kundtue und meine Worte das profunde und wohldurchdachte Ergebnis sorgfältiger Überlegungen darstellen.
Ich fürchte, ich kann Ihre Empfehlung für meinen Amtsnachfolger nicht teilen. Obwohl Charlotte Branwell ein gutes Herz besitzt, ist sie insgesamt viel zu flatterhaft, emotional, leidenschaftlich und unbotmäßig, um für die Position des Konsuls infrage zu kommen. Wie wir alle wissen, kennt das schöne Geschlecht Schwächen, denen Männer nicht anheimfallen. Und bedauerlicherweise neigt Charlotte Branwell zu all diesen Schwächen. Nein, ich kann sie wirklich nicht empfehlen und ich bitte Sie eindringlich, einen anderen Nephilim für diesen Posten in Erwägung zu ziehen. Wie etwa meinen Neffen, George Penhallow, der im kommenden November fünfundzwanzig Jahre alt wird und ein hervorragender Schattenjäger ist und dazu ein rechtschaffener junger Mann. Ich bin der festen Überzeugung, dass er die moralische Kraft und Charakterstärke besitzt, die Nephilim in eine neue Ära zu führen.
Im Namen des Erzengels
Konsul Josiah Wayland
4
W EISE SEIN UND LIEBEN
Denn weise sein und lieben
Vermag kein Mensch.
W ILLIAM S HAKESPEARE , »T ROILUS UND C RESSIDA «
»Ich dachte, du würdest wenigstens ein Lied darüber schreiben«, sagte Jem.
Verwundert schaute Will seinen Parabatai an. Obwohl Jem ausdrücklich nach ihm gefragt hatte, war er bis jetzt nicht sehr mitteilsam gewesen. Schweigend hatte er auf der Bettkante gesessen, mit sauberer Hose und frischem Hemd, das allerdings lose an ihm herabhing und ihn dünner denn je erscheinen ließ. Auf Höhe des Schlüsselbeins klebten noch getrocknete Blutspritzer an seiner Haut, was aussah wie eine besonders scheußliche Halskette. »Worüber soll ich ein Lied schreiben?«, fragte Will.
Jems Mundwinkel zuckten. »Vielleicht auf unseren Sieg über diesen Wurm?«, schlug er vor. »Du machst doch sonst ständig irgendwelche Scherze …«
»In den letzten Stunden war mir nicht gerade nach Scherzen zumute«, erwiderte Will und warf einen bedeutungsvollen Blick auf die blutigen Tücher auf dem Nachttisch und die Schüssel mit dem hellroten Wasser darin.
»Bitte fang du jetzt nicht auch noch an«, sagte Jem. »Alle veranstalten einen riesigen Wirbel um mich und ich halt das nicht mehr aus. Ich habe dich hergebeten, weil…weil du so was normalerweise nicht machst. Du bringst mich in der Regel zum Lachen.« Resigniert hob Will die Hände. »Na, schön. Wie wäre es hiermit:
Gottlob, ich muss mich nicht länger mühen und plagen!
Wir wissen nun: Dämonenpocken sind schlecht für den Magen.
Jauchzet, frohlocket, hört auf zu verzagen,
Der Pockenwurm wurde nun endlich geschlagen:
Fortan muss mich jeder nach meiner Meinung fragen!«
Jem brach in schallendes Gelächter aus. »Oh Mann, das war wirklich grauenhaft.«
»Das war aus dem Stegreif!«
»Will, hast du schon mal was von Versmaß gehört …?«, entgegnete Jem, dessen Lachen jedoch in einen Hustenanfall überging.
Sofort stürzte Will zu seinem Freund, während dieser sich krümmte und seine mageren Schultern zuckten. Blutstropfen sprühten auf den weißen Bettbezug. »Jem …«
Mit einer Hand gestikulierte Jem in Richtung des Kästchens auf dem Nachttisch.
Will griff nach dem Kästchen. Die feine Einlegearbeit auf dem Deckel war ihm inzwischen so vertraut, dass er den Anblick der schlanken Frau, die Wasser aus einer Vase in einen Fluss goss, förmlich hasste. Er öffnete den Schnappverschluss, warf einen Blick hinein – und erstarrte. Eine nur noch hauchdünne Pulverschicht bedeckte wie silberner Puderzucker den Boden. Will wusste zwar nicht, welche Mengen die Stillen Brüder für Jems Behandlung benötigt hatten, aber es bestand nicht der geringste Zweifel daran, dass eigentlich noch wesentlich mehr von der Substanz hätte übrig sein müssen. »Jem, wo ist der Rest?«, fragte er mit gepresster Stimme. »Warum ist hier nur noch so wenig drin?«
Jem hatte den Hustenanfall inzwischen
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