Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
immer derjenige, der mich beschützt hat.« Seine Augen glitten prüfend über Jems Gesicht. »Hilf mir, dich besser zu verstehen.«
Einen Moment stand Jem vollkommen reglos da, dann meinte er: »Anfangs … als mir zum ersten Mal bewusst wurde, dass ich Tessa liebe, da dachte ich, dass die Liebe mich vielleicht gesünder, stärker gemacht hätte. Schließlich hatte ich ziemlich lange keinen Rückfall erlitten. Und als ich um Tessas Hand anhielt, da habe ich ihr gesagt … dass meine Liebe zu ihr mir Kraft gibt. Aber als ich danach zum ersten Mal wieder einen Schwächeanfall erlitt, konnte ich es nicht übers Herz bringen, ihr davon zu erzählen … damit sie nicht dachte, meine Liebe für sie würde nachlassen. Also habe ich von da an eine größere Menge der Arznei eingenommen, um einem weiteren Anfall vorzubeugen. Doch schon bald musste ich eine so hohe Tagesdosis einnehmen, wie ich sie zuvor nicht mal in einer ganzen Woche benötigt hatte. Mir bleiben nicht mehr viele Jahre zum Leben, Will, möglicherweise nicht einmal mehr Monate. Aber ich will nicht, dass Tessa es erfährt. Bitte erzähl ihr nichts davon. Nicht nur um ihretwillen, sondern auch um meinetwegen.«
Fast widerstrebend empfand Will Verständnis für seinen Parabatai: Er selbst hätte genauso gehandelt, hätte jede Lüge aufgetischt, wäre jedes Risiko eingegangen, nur damit Tessa ihn liebte. Er hätte alles getan …
Fast alles. Er hätte Jem dafür nicht hintergangen. Das war das Einzige, wozu er nicht bereit war. Und hier stand Jem nun, seine Hand in Wills Hand, ein Flehen in den Augen, das um Mitgefühl, um Verständnis bat. Und wie konnte er Jem auch nicht verstehen? Nur allzu gut erinnerte Will sich an Magnus’ Salon und daran, wie er den Hexenmeister angefleht hatte, ihn in das Reich der Dämonen zu teleportieren. Denn er wollte lieber dort sterben, als auch nur eine Sekunde länger in einem Leben zu verbringen, das er nicht mehr ertragen konnte.
»Das heißt also, du stirbst aus Liebe«, sagte Will schließlich; seine Stimme klang selbst in seinen eigenen Ohren gepresst.
»Nur ein wenig schneller als zuvor. Und es gibt Schlimmeres, als aus Liebe zu sterben.«
Langsam gab Will Jems Hand frei.
Jem schaute von dem Ring zu seinem Freund, mit einem fragenden Blick in den Augen. »Will …?«
»Ich werde mich nach Whitechapel aufmachen«, versicherte Will. »Heute Abend noch. Und dann werde ich dir sämtliches Yin Fen besorgen, das ich auftreiben kann.«
Doch Jem schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht etwas von dir verlangen, das dich gegen dein Gewissen handeln lässt.«
»Mein Gewissen«, wisperte Will. »Du bist mein Gewissen. Das warst du schon immer, James Carstairs. Ich werde dir diesen Gefallen tun, aber im Gegenzug erwarte ich von dir ein Versprechen.«
»Was für ein Versprechen?«
»Du hast mich vor Jahren gebeten, nicht länger nach einem Heilmittel zu suchen«, erklärte Will. »Und ich möchte, dass du mich nun von diesem Versprechen entbindest. Lass mich wenigstens danach suchen.«
Verwundert schaute Jem ihn einen Moment an. »Jedes Mal, wenn ich glaube, dich durch und durch zu kennen, verblüffst du mich aufs Neue. Also gut, ich entbinde dich von deinem Versprechen. Such nach einem Heilmittel. Tu, was immer du für richtig hältst. Ich will deine guten Absichten nicht behindern, denn das wäre grausam. Außerdem würde ich für dich dasselbe tun, wenn ich an deiner Stelle wäre. Und das weißt du auch, oder?«
»Ja, das weiß ich.« Will trat einen Schritt vor, legte Jem die Hände auf die Schultern und zuckte innerlich zusammen, als er spürte, wie hager sie sich unter seinen Fingern anfühlten – wie die Knochen eines kleinen Vogels. »Das hier ist nicht irgendein leeres Versprechen, James. Glaub mir, ich weiß besser als jeder andere, wie sehr falsch geschürte Hoffnungen schmerzen können. Ich werde mich umsehen. Und wenn es irgendetwas zu finden gibt, werde ich es aufstöbern. Doch bis dahin … Du hast das Recht, dein Leben so zu führen, wie du es willst.«
Unfassbarerweise musste Jem grinsen. »Das weiß ich«, bestätigte er, »aber es ist sehr nobel von dir, mich daran zu erinnern.«
»Wenn ich eins bin, dann nobel«, verkündete Will. Sein Blick wanderte über Jems Gesicht – dieses Gesicht, das ihm so vertraut war wie sein eigenes. »Und entschlossen. Du wirst nicht von mir gehen. Nicht, solange ich lebe.«
Jem schaute ihn aus großen Augen an, schwieg aber. Denn dem gab es nichts hinzuzufügen.
Im
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