Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
stehen.
Auf dem dunklen Samtsofa gegenüber den Lightwood-Brüdern saß Jem, mit Tessa an seiner Seite. Er hatte aufgeschaut, als die Salontür aufgegangen war, und bei Wills Anblick wie jedes Mal innerlich aufgeleuchtet. Dieses Verhalten war für beide typisch und Cecily fragte sich, ob alle Parabatai diese Eigenschaft teilten oder ob die beiden eine einzigartige Ausnahme bildeten. Auf jeden Fall musste es schrecklich sein, so eng mit einem anderen Menschen verbunden zu sein – insbesondere wenn es sich dabei um jemanden handelte, der so fragil war wie Jem.
Während Cecily sie beobachtete, legte Tessa ihre Hand über Jems Finger und raunte ihm irgendetwas zu, das ihn zum Lächeln brachte. Dann schaute Tessa rasch zu Will, doch der durchquerte nur den Salon und lehnte sich wie üblich an den Kaminsims. Cecily hätte nicht zu sagen vermocht, ob er das tat, weil ihm ständig kalt war oder weil er vielleicht glaubte, vor den flackernden Flammen eine besonders schneidige Figur abzugeben.
Du musst dich ja furchtbar schämen für deinen Bruder – der unerlaubte Gefühle für die Verlobte seines Parabatai hegt … hatte Will ihr gesagt. Wenn er jemand anderes gewesen wäre, hätte sie ihm gesagt, dass es keinen Zweck hatte, irgendwelche Geheimnisse zu hüten. Denn die Wahrheit würde eines Tages unweigerlich ans Licht kommen. Aber in Wills Fall war Cecily sich nicht so sicher: Er hatte jahrelange Erfahrung darin, Dinge geheim zu halten und anderen etwas vorzumachen. Er war ein Meister der Schauspielkunst. Wenn sie nicht seine Schwester gewesen wäre und sein Gesicht in den Momenten gesehen hätte, in denen Jem gerade nicht hinschaute, dann hätte sie Wills wahre Gefühle vermutlich auch nicht erraten.
Nicht zu vergessen die schreckliche Tatsache, dass er sein Geheimnis nicht für immer bewahren musste. Er brauchte es nur so lange zu verstecken, wie Jem noch lebte. Wenn James Carstairs nicht so freundlich und gutmütig gewesen wäre, überlegte Cecily, dann hätte sie ihn möglicherweise um ihres Bruders willen gehasst. Nicht genug, dass er das Mädchen heiraten würde, das Will liebte – wenn Jem eines nicht allzu fernen Tages starb, würde Will sich von diesem Schlag nicht mehr erholen, fürchtete Cecily. Aber natürlich konnte man Jem seinen nahenden Tod nicht zum Vorwurf machen. Mutwilliges Verlassen vielleicht, so wie ihr Bruder sie und ihre Eltern verlassen hatte, aber nicht den Tod, der sich gewiss der Macht eines jeden Sterblichen entzog.
»Ich bin froh, dass ihr alle hier seid«, sagte Charlotte im nächsten Moment mit angespannter Stimme und riss Cecily damit aus ihren Gedanken. Charlotte warf einen ernsten Blick auf ein poliertes Silbertablett auf ihrem Schreibtisch, auf dem ein geöffneter Brief und ein in Wachspapier gewickeltes Päckchen lagen. »Ich habe ein beunruhigendes Schreiben erhalten. Vom Magister.«
»Von Mortmain?« Tessa beugte sich vor, woraufhin der Klockwerk-Engel aus ihrem Kragen rutschte und im Schein des Kaminfeuers aufleuchtete. »Er hat dir geschrieben?«
»Aber vermutlich nicht, um sich zu erkunden, wie es dir denn so geht«, meinte Will. »Was will er?«
Charlotte holte tief Luft. »Am besten lese ich euch den Brief vor.«
»Meine verehrte Mrs Branwell,
bitte verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen in diesen schwierigen Zeiten zusätzliche Umstände bereite. Die Nachricht von Mr Carstairs’ ernstem Gesundheitszustand hat mich tief betrübt, wenn auch nicht überrascht, wie ich gestehen muss.
Ich denke, Sie sind sich der Tatsache bewusst, dass ich der glückliche Besitzer einer größeren Menge – darf ich sagen einer mehr als größeren Menge – der Arznei bin, die Mr Carstairs für den Erhalt seines Wohlbefindens benötigt. Daher befinden wir uns nun in einer höchst interessanten Situation, um deren – für alle Parteien zufriedenstellenden – Lösung ich sehr bemüht bin. Über einen Tausch wäre ich höchst erfreut: Wenn Sie bereit sind, mir Miss Gray zu überantworten, werde ich Ihnen eine nicht unbeträchtliche Menge Yin Fen zukommen lassen.
Als Zeichen meines guten Willens schicke ich Ihnen ein Päckchen. Ich ersuche Sie, mir Ihre Entscheidung bald schriftlich mitzuteilen. Wenn Sie meinem Automaten die Zahlen, die Sie am unteren Rand dieses Schreibens finden, in der richtigen Reihenfolge nennen, bin ich sicher, dass ich Ihre Nachricht erhalten werde.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Axel Mortmain«
»Das ist alles«, sagte Charlotte, faltete den Brief zusammen und legte
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