Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
so staubig, wie Tessa es in Erinnerung hatte. Offenbar hatte hier jemand vor Kurzem gründlich sauber gemacht: Die Fensterbänke und der Parkettboden glänzten wie poliert und auch das Holz des Flügels in der Ecke schimmerte sanft. Ein Feuer knisterte im Kamin und zeichnete Jems Silhouette nach, als er sich von den Flammen abwandte und Tessa ein nervöses Lächeln schenkte.
Alles in diesem Raum wirkte irgendwie gedämpft, wie bei einem Aquarellgemälde. Der Schein des flackernden Feuers ließ die mit weißen Tüchern abgedeckten Instrumente wie Geister lebendig werden, brachte den polierten Flügel zum Leuchten und spiegelte sich golden in den Fensterscheiben. Tessa konnte auch ihr und Jems Spiegelbild darin erkennen. Sie standen einander zugewandt: ein junges Mädchen in einem dunkelblauen Abendkleid und ein spindeldürrer junger Mann mit silbernen Haaren und einem schwarzen Gehrock, der ihm ein klein wenig zu locker von den knochigen Schultern hing.
Sein überschattetes Gesicht wirkte verletzlich und die weichen Konturen seines Mundes verrieten eine nervöse Besorgnis. »Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest«, sagte er leise.
Bei diesen Worten wäre Tessa am liebsten zu ihm gelaufen und hätte die Arme um ihn geschlungen, doch sie hielt sich zurück. Sie musste zuerst mit ihm reden. »Selbstverständlich bin ich gekommen«, erklärte sie. »Jem, es tut mir so leid. So furchtbar leid. Ich kann dir gar nicht sagen … es war wie ein Anflug von Wahnsinn. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass dir meinetwegen etwas geschieht … nur weil ich auf irgendeine Weise mit Mortmain verbunden bin und er mit mir.«
»Das ist doch nicht deine Schuld. Du hast nie eine Wahl gehabt …«
»Aber ich habe nicht vernünftig nachgedacht. Will hatte recht: Mortmain darf man nicht trauen. Selbst wenn ich zu ihm ginge, würde das nicht garantieren, dass er seinen Teil der Abmachung auch wirklich einhält. Und ich würde ihm nur eine potenzielle Waffe in die Hände spielen. Ich habe keine Ahnung, wozu er mich benutzen will, aber es kann nicht zum Wohl der Nephilim sein … so viel steht fest. Möglicherweise wäre ich am Ende ein Mittel zum Zweck, um euch allen Schaden zuzufügen.« Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie zwang sich, Ruhe zu bewahren. »Bitte verzeih mir, Jem. Wir dürfen die wenige Zeit, die uns bleibt, nicht mit Streitereien vergeuden. Ich verstehe, warum du so gehandelt hast – ich hätte das Gleiche für dich getan.«
Jems Augen hatten einen sanften silbernen Schimmer angenommen. »Zhe shi jie shang, wo shi zui ai ne de«, flüsterte er.
Und Tessa verstand. Auf der ganzen Welt bist du dasjenige, das ich am meisten liebe. »Jem …«, setzte sie an.
»Das weißt du doch. Das musst du doch wissen. Ich könnte dich niemals gehen lassen, könnte niemals zulassen, dass du dich in tödliche Gefahr begibst – nicht, solange ich noch einen Funken Leben in meinem Körper habe.« Er hob die Hand, bevor Tessa einen Schritt auf ihn zumachen konnte. »Warte.« Dann bückte er sich, und als er sich wieder aufrichtete, hielt er seinen rechteckigen Geigenkasten und den Bogen in der Hand. »Ich … Es gibt da etwas, womit ich dich überraschen wollte. Ein Geschenk zum Tag unserer Hochzeit. Aber ich möchte es dir lieber schon jetzt geben, falls du einverstanden bist.«
»Ein Geschenk?«, fragte Tessa verwirrt. »Aber … aber wir haben uns doch gestritten!«
Jem betrachtete sie mit einem Lächeln – jenem wundervollen Lächeln, das sein Gesicht aufleuchten ließ und seine hageren, erschöpften Züge vergessen machte. »Ein wesentlicher Bestandteil des Ehelebens, wie ich mir habe sagen lassen. Unsere Auseinandersetzung wird eine nützliche Übung für später sein.«
»Aber …«
»Tessa, hast du wirklich geglaubt, dass es irgendeinen Streit gäbe, ob nun groß oder unbedeutend, der mich dazu bringen könnte, dich nicht mehr zu lieben?« Jem klang verwundert.
Und Tessa musste plötzlich an Will denken, an all die Jahre, in denen Will Jems Loyalität auf die Probe gestellt und ihn mit seinen Lügen, Ausflüchten und seinem Selbsthass fast in den Wahnsinn getrieben hatte. Und dennoch hatte Jems Liebe zu seinem Blutsbruder nicht eine Sekunde geschwankt oder gar nachgelassen. »Ich hatte es tatsächlich befürchtet …«, sagte sie matt. »Außerdem … habe ich kein Geschenk für dich.«
»Doch, das hast du«, erwiderte Jem leise, aber bestimmt. »Bitte setz dich, Tessa. Erinnerst du dich noch daran,
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