Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
Papier:
Komm ins Musikzimmer.
J
»Hier ist nichts«, stellte Gabriel fest. Er befand sich zusammen mit Gideon im Salon. Die Vorhänge waren zugezogen und hüllten den Raum in tiefe Dunkelheit. Ohne ihre Elbenlichter hätten sie nicht das Geringste gesehen. Hastig ging Gabriel die Korrespondenz auf Charlottes Schreibtisch ein zweites Mal durch.
»Was soll das heißen – ›nichts‹?«, fragte Gideon, der in der Nähe der Tür stand. »Ich seh da doch einen Stapel Briefe auf dem Tisch. Darunter muss sich auch einer befinden, der etwas hergibt …«
»Nein, nichts Skandalträchtiges oder auch nur entfernt Interessantes«, erwiderte Gabriel und schob eine Schreibtischschublade zu. »Irgendwelche Korrespondenz mit einem Onkel in Idris, der offenbar Gicht hat.«
»Faszinierend«, murmelte Gideon.
»Man muss sich wirklich fragen, worin Charlotte nach Ansicht des Konsuls denn verwickelt sein soll. Irgendeine Form des Verrats gegenüber der Kongregation?« Gabriel nahm das Bündel Briefe und verzog das Gesicht. »Wir könnten ihm erneut ihre Unschuld versichern, wenn wir nur wüssten, warum er sie überhaupt verdächtigt.«
»Leider glaube ich kaum, dass er von ihrer Unschuld überzeugt werden möchte«, kommentierte Gideon. »Ich habe ja eher den Verdacht, dass er hofft, sie bei irgendetwas zu ertappen.« Er streckte die Hand aus. »Gib mir mal diesen Brief.«
»Den an ihren Onkel?«, fragte Gabriel skeptisch, folgte aber dennoch der Aufforderung. Dann hielt er seinen Elbenstein hoch und ließ dessen Strahlen über den Schreibtisch fallen, während Gideon sich einen von Charlottes Federhaltern nahm, sich über den Tisch beugte und rasch eine Nachricht an den Konsul aufsetzte.
Gideon blies gerade über den Papierbogen, damit die Tinte schneller trocknete, als die Salontür mit Schwung aufflog. Ruckartig richtete er sich auf. Gelber Lichtschein strömte in den Raum, wesentlich heller als das Elbenlicht.
Hastig hielt Gabriel sich eine Hand schützend vor die Augen und blinzelte. Er hätte sich mit einer Nachtsichtrune versehen sollen, dachte er, aber diese Runenmale verblassten erst nach einer ganzen Weile und er fürchtete, damit möglicherweise unangenehme Fragen aufzuwerfen. In den wenigen Sekunden, die er benötigte, um seine Augen an die Helligkeit zu gewöhnen, hörte er seinen Bruder entsetzt rufen: »Sophie?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie mich nicht so nennen sollen, Mr Lightwood«, entgegnete Sophie eisig.
Gabriels Augen hatten sich mittlerweile an das Licht gewöhnt und er entdeckte das Dienstmädchen im Rahmen der Salontür, eine helle Lampe in der Hand. Sie starrte blinzelnd in die Dunkelheit und ihre Augen verengten sich noch mehr zu Schlitzen, als ihr Blick auf Gabriel fiel, der Charlottes Briefe noch immer in der Hand hielt. »Haben Sie … Ist das da etwa Mrs Branwells Korrespondenz?«
Hektisch ließ Gabriel das Bündel auf den Schreibtisch fallen. »Ich … Wir …«
»Haben Sie ihre Briefe etwa gelesen?« Sophie funkelte die beiden fuchsteufelswild an und wirkte mit der Lampe in der Hand fast wie ein Racheengel.
Hilfe suchend schaute Gabriel zu seinem Bruder, aber Gideon schien wie vor den Kopf gestoßen und stand nur stumm da. Gabriel konnte sich nicht erinnern, dass sein Bruder in all den Jahren irgendeinem Schattenjägermädchen auch nur einen einzigen Blick gegönnt hätte, nicht einmal der hübschesten Nephilim. Und dennoch sah Gideon diese narbengesichtige Irdische auf eine Weise an, als wäre sie die aufgehende Morgensonne. Es war unbegreiflich – aber auch nicht zu leugnen. Gabriel konnte das Entsetzen auf dem Gesicht seines Bruders sehen, als Sophies hohe Meinung von ihm vor seinen Augen zerbrach.
»Ja«, räumte Gabriel ein. »Ja, wir haben in der Tat einen Blick auf Charlottes Korrespondenz geworfen.«
Bestürzt wich Sophie einen Schritt zurück. »Ich werde sofort Mrs Branwell holen …«
»Nein …« Gabriel hielt eine Hand hoch. »Es ist nicht so, wie Sie denken. Warten Sie.« Rasch erzählte er, was sich in den vergangenen Tagen zugetragen hatte: die Drohungen des Konsuls, seine Forderung, Charlotte zu bespitzeln, und ihre Lösung für das Problem. »Wir hatten nie vor, irgendetwas von dem, was sie tatsächlich geschrieben hat, dem Konsul preiszugeben«, beendete er seinen Bericht. »Wir wollten Charlotte immer nur beschützen.«
Doch Sophies Argwohn spiegelte sich weiterhin auf ihrer Miene. »Und warum sollte ich auch nur ein einziges Wort davon glauben, Mr
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