Cloudbusters und die Stadt der Schläfer (German Edition)
noch einmal die Ziggedorn-Dateien durchgegangen“, sagte er, während er seine Aufzeichnungen studierte. „Pseudos richtiger Name ist übrigens Hanno Benz, und sein fantasievolles Passwort heißt Autonome.“ Ben stieß eine Folge glucksender Laute aus. „Er hatte Filmaufnahmen von der letzten Demo. Beim Van sind nämlich vorn am Innenspiegel und hinten bei den oberen Scheinwerfern Kameras eingebaut. Die sind super klein und leistungsstark. Ich glaube aber, dass er von uns keine Aufnahmen hat, weil wir zu nah an der Breitseite des Wagens standen.“
„Wie gut. Dann ist ihm dein Gekotze ja entgangen“, sagte Chong.
„Sehr lustig. Dein Kung Fu Gehüpfe übrigens auch.“ Ben griff umständlich nach der Flasche Saft. Anna war schneller und reichte sie ihm.
„Und wenn die uns gefilmt haben, als wir weggingen?“, fragte Anna besorgt.
„Dann sind da vier Schüler mehr auf seinem blöden Film. Vier Schüler auf dem Weg nach Hause“, antwortete Milli.
Chong wurde von Dauergähnen übermannt. Er kroch auf allen Vieren zu seinem Bett und legte sich hinter Milli auf die Matratze. Seine Augen tränten und die Wangen waren gerötet. Er sah aus, als hätte er drei Nächte durchgemacht.
„Redet ruhig weiter, ich muss mich nur ein wenig lang legen.“
„Ich habe noch nicht alles Material durchgesehen“, sagte Ben, „aber Pseudo hatte eine sadistische Freude daran, die Bullen zu bestrahlen und zu filmen. Da sind ein paar echt brisante Aufnahmen drunter, von wegen Polizeibrutalität und so. Das Material könnte man glatt gegen sie verwenden - ich meine, sollten wir mal Schwierigkeiten mit denen kriegen.“
Anna sah Ben ungläubig an - machte er Witze oder war das ernst gemeint?
„Schwierigkeiten mit der Polizei – wir?“
„Quatsch“, sagte Milli vergnügt, „wir sind viel zu nett - trotzdem, den Film sollten wir auf jeden Fall aufbewahren.“
Milli und Ben wechselten verschwörerische Blicke und lachten grimmig. Anna rutschte nervös auf ihrem Kissen herum und machte den Eindruck, als fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut. Sie blickte vorwurfsvoll und schwieg.
Als keiner mehr was sagte, drang ein gleichmäßiges, schwaches Röcheln an ihre Ohren. Chong lag ausgestreckt auf der Matratze und schlief.
„Der Arme – lassen wir ihn schlafen“, flüsterte Milli und deckte ihn mit einer Wolldecke zu. „Die vergangene Nacht muss ihn ziemlich mitgenommen haben.“
Sie räumten alles zusammen, brachten die Reste in die Küche, entsorgten den Müll und verließen leise das Haus.
Reise nach Berlin
Der Zug rollte um halb vier am Berliner Hauptbahnhof ein.
Anna hatte keine Lust auf Diskussionen und hatte deshalb zuhause erzählt, dass sie mit Milli und Emma nach Berlin fahren würde. Emma wusste natürlich nichts von dieser Ehre. Milli hatte Emma und Batori erzählt, dass sie mit Anna nach Berlin fahren würde, um ein paar vergessene Sachen aus der Wohnung zu holen. Batori wollte, dass Emma mitfuhr, aber Milli konnte es ihm ausreden. Sie mussten versprechen, über ihre Handys erreichbar zu bleiben. Milli hinterließ Annas Nummer und brauste davon.
Kaum hatte sie den Fuß aus dem doppelstöckigen roten Regionalzug auf den Bahnsteig im Glaspalast Berliner Hauptbahnhof gesetzt, war das vertraute Berlin-Gefühl wieder da. Das hatte sie in Koppelitz völlig vergessen. In Berlin blieb man nicht einfach stehen und glotzte andere Leute an, hier sah und ging man stracks mit Blick nach vorn aneinander vorbei. Schon gar nicht blieb man an einer roten Ampel stehen, und wenn man mit dem Fahrrad unterwegs war, ignorierte man sowieso alle Verkehrsregeln und Fußgänger.
Milli legte automatisch einen Zahn zu, um möglichst schnell zur S-Bahn zu kommen, aber Anna konnte sich an der gläsernen Architektur nicht satt sehen und wollte unbedingt noch mit den Fahrstühlen bis ganz nach oben fahren, um eine bessere Aussicht zu haben. Milli ließ sich breitschlagen und drosselte ihr Tempo. Als sie endlich in die S-Bahn stiegen, war beinahe eine Stunde vergangen. Sie fuhren bis Yorkstraße und nahmen von dort die U-Bahn bis Eisenacher Straße. Sie kamen an der Apostel Paulus Kirche raus und gingen die Akazienstraße entlang. Anna zogen die Läden und Cafés in Bann. Vor fast jedem Schaufenster blieb sie stehen. Es war einfach kein Vorankommen. Milli schaute auf die Uhr und trat auf der Stelle.
„Du hetzt“, beschwerte sich Anna und drückte sich die Nase am Schaufenster platt, wo sie glitzernde Ohrringe gefunden
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