Clovis Dardentor
.«
Marcel Lornans mußte über die verlegenen Winkelzüge
seines um eine Adoptivvaterschaft werbenden Vetters laut
auflachen.
»Das sollte nicht gelten! . . . Das sollte sonst nicht gel-
ten!« wiederholte der Perpignaneser. »Wahrlich, das ist ei-
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ner der besten Einwände, die ich je gehört habe! . . . Doch
trotz alledem . . . vorwärts!«
Jean Taconnat stieg nun ein und setzte sich neben seinen
Vetter auf die zweite Bank. Clovis Dardentor nahm auf der
ersten neben dem Kutscher Platz und der Führer stellte sich
auf den Tritt hinter dem Wagen.
Schnell ging es nun durch das Jesustor und gleich vor
diesem erblickten die Touristen schon das massige Schloß
Bellver, das aus üppigem Grün hervorragte.
Als die Galera durch die Stadtmauer rollte, gelangte sie
nicht sofort ins offene Land. Erst führte der Weg noch durch
Terreno, eine Art Vorort der balearischen Hauptstadt hin.
Dieser Vorort wird mit Recht als ein Heilbadeort in nächs-
ter Nähe von Palma betrachtet. Seine eleganten Landhäuser
und hübschen Alquerias liegen geschützt unter dem erqui-
ckenden Schatten von Bäumen, besonders von alten Feigen-
bäumen, die eine seltsam knorrige Gestalt haben.
Die nicht geringe Anzahl weißer Häuser thront übrigens
auf einer Anhöhe, deren felsiger Fuß vom Schaum der Bran-
dung benetzt wird. Nachdem sie das reizende Terreno hin-
ter sich gelassen hatten, konnten Clovis Dardentor und die
beiden Pariser, wenn sie sich umdrehten, mit einem Blick
die ganze Stadt Palma, ihre azurblaue Bucht bis zur Grenze
des hohen Meeres und die gewundenen Linien ihres Ufers
umfassen.
Die Galera rollte jetzt einen aufsteigenden Weg hinauf,
der sich unter einer Waldung von Aleppopinien verlor, die
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das Dorf umkränzt und den von den Mauern des Castillo
de Bellver gekrönten Hügel bekleidet.
Welch herrliche Durchblicke über die Landschaft boten
sich aber erst von etwas erhöhtem Standpunkt aus, wie rei-
zend hoben sich die zerstreuten Häuser ab von der Farbe
der Palmen, Orangen-, Granat- und Feigenbäume, von dem
dunklen Kaperngesträuch und dem Laub der Olivenbäume!
Clovis Dardentor, dem das Herz immer auf der Zunge lag,
verlieh auch seiner Bewunderung den beredtesten Aus-
druck, obwohl ihm ähnliche Landschaftsbilder aus dem
südlichen Frankreich bekannt sein mußten. Freilich mochte
er so verwachsene, knorrige, höckrige und bucklige Oliven-
bäume und diese obendrein von so riesiger Größe wohl
noch niemals gesehen haben. Wie ergötzte sich das Auge
auch an den Hütten der Landleute, die, von Gemüsegärten
umgeben, sich aus Myrten- und Cytisengebüsch nebst Tau-
senden von Blumen erhoben, darunter jene »Lagrymos«
mit dem poetischen und traurigen Namen, und deren Wet-
terdächer vom Laub umrankt und mit Hunderten von Bü-
scheln roten spanischen Pfeffers geschmückt waren!
Bisher war die Fahrt ganz nach Wunsch verlaufen, und
die Insassen der Galera hatten keine Ursache zu dem Ruf:
»Was, zum Teufel, haben wir in dieser Galera zu tun!«
Nein, die Galera wurde ja von keiner Doppelreihe von
Rudern auf dem unzuverlässigen Element fortbewegt. Hier
auf dem Land bedrohte sie kein Überfall durch Seeräuber
aus den Barbareskenstaaten. Sie hatte die Straße, die sich
weniger launisch als das Meer erwies, glücklich überschifft,
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und es war 5 Uhr, als sie im Hafen, oder richtiger vor dem
Tor des Castillo de Bellver eintraf.
Das feste Schloß wurde einst in dieser beherrschenden
Lage erbaut, weil es bestimmt war, die Stadt Palma und ihre
Bai zu verteidigen. Mit seinen tiefen Wallgräben, dicken
Steinmauern und dem aufragenden Turm bietet es auch
ganz den für mittelalterliche Festungen gewohnten An-
blick.
Vier kleinere Türme schützen seine kreisförmige Au-
ßenmauer, innerhalb derer ein 2stöckiges Bauwerk in rö-
mischem und gotischem Stil errichtet ist. Davor erhebt sich
der »Torre del Homenaje« (eigentlich der Huldigungs- oder
Lehensturm), dessen feudale Natur niemand verkennen
kann.
Diesen Turm wollten Clovis Dardentor, Marcel Lornans
und Jean Taconnat bis zu seiner Plattform ersteigen, um ei-
nen Gesamtüberlick auf Stadt und Land zu gewinnen, da er
sich dazu besser eignete als eine der Turmspitzen der Ka-
thedrale.
Die Galera blieb vor der steinernen Grabenbrücke stehen
und dem Kutscher wurde bedeutet, hier zu warten, während
die Fahrgäste das Castillo mit dem Führer besuchten.
Das konnte
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