Clovis Dardentor
Halbinsel aushalten.
Die kleine Gesellschaft trat nun durch das Mittelportal
an der Hauptfront ein.
Die Kirche ist – wie alle in Spanien – im Innern sehr
düster. Weder im Mittel- noch in den Nebenschiffen fand
sich ein Stuhl vor, nur vereinzelte hölzerne Bänke standen
umher. Nichts als die kalten Steinplatten, worauf die Gläu-
bigen niederknien, was den kirchlichen Zeremonien einen
eigenartigen Charakter verleiht.
Clovis Dardentor und die beiden jungen Leute durch-
schritten das Schiff zwischen der Doppelreihe von Säulen,
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deren prismatische Gräten nach dem Anfang der Decken-
wölbung übergriffen. An dessen Ende blieben sie vor der
königlichen Kapelle stehen, bewunderten ein prächtiges Al-
tarblatt und erstiegen den Chor, der hier, abweichend vom
Gebrauch, in der Mitte des Gebäudes angebracht ist.
Leider fehlte es ihnen an Zeit, die reichen Schätze der
Kathedrale eingehender zu besichtigen, wie deren künstle-
rische Wunderdinge und die in Mallorca gläubig verehrten
heiligen Reliquien, besonders das Skelett des Königs Don
Jayme von Arragonien, das seit 3 Jahrhunderten in seinem
schwarzen Marmorsarkophag ruht.
Bei ihrer kurzen Anwesenheit hatten die Besucher kaum
Zeit, ein stilles Gebet zu verrichten. Wenn Jean Taconnat
aber für Clovis Dardentor gebetet hätte, wäre es jedenfalls
nur unter der Bedingung geschehen, für diese Welt, in Er-
wartung der anderen, der einzige Urheber seines Heils zu
sein.
»Wohin gehen wir nun?« fragte Marcel Lornans.
»Nach dem Ayuntamiento«, antwortete der Führer.
»Durch welche Straße?«
»Durch die Calle de Palacio.«
Die Gesellschaft stieg hierauf die genannte Straße hin-
auf, die eine Länge von etwa 300 Metern – oder 1600 Pal-
mos hat, um nach mallorquinischem Maß zu rechnen. Die
Straße mündet auf einen kleineren und weniger unregelmä-
ßigen Platz als die Plaza Isabellas II. aus. Übrigens findet
man auf den Balearen überhaupt keine Städte, wo Winkel-
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maß und Richtschnur wie in den amerikanischen Städten
regelmäßige Schachbrettfelder ausgeschnitten hätten.
Ob sich’s wohl der Mühe lohnte, den Ayuntamiento,
auch die Casa Consistorial genannt, zu besuchen? Gewiß;
und kein Fremder würde in Palma verweilen, ohne ein Bau-
werk bewundern zu wollen, das sein Urheber mit einer so
hervorragenden Fassade zu schmücken verstand. Diese
zeigt nämlich zwei Türen zwischen je zwei Fenstern, durch
die man nach dem Innern, nach der Tribüne, der reizvollen,
in der Mitte angebrachten »Loggia« gelangt. Das 1. Stock-
werk zeigt sieben nach einem Balkon zu gelegene Fenster.
Der Balkon selbst zieht sich längs des ganzen Gebäudes hin.
Das 2. Stockwerk ist durch eine Art vorspringendes Senn-
hüttendach geschützt und hat mit Rosetten geschmückte
Steinwürfel, von denen jede reine Karyatide trägt. Die Casa
Consistorial wird übrigens für ein Meisterwerk italienischer
Renaissance gehalten.
In der »Sala« mit den Bildern der einheimischen No-
tabilitäten – ohne eines vorzüglichen Heiligen Sebastians
von Van Dyck zu erwähnen – hat die Regierung des Ar-
chipels ihren Sitz. Hier schreiten ernsten Gesichts und ge-
messenen Gangs die Stabträger in langen Talaren auf und
ab. Hier werden die Beschlüsse gefaßt, die der Stadt durch
die stolzen Tamboreros des Ayuntamientos kundgetan wer-
den, also durch öffentliche Ausrufer in überlieferter Tracht,
deren Nähte mit roten Passementen verziert sind, während
sich ihr Vorgesetzter, der Tamboreromajor, durch entspre-
chende goldene Verzierungen auszeichnet.
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Clovis Dardentor hätte gern einige Duros geopfert, um
diese Persönlichkeit, von der der Führer mit echt baleari-
scher Eitelkeit sprach, in vollem Glanz bewundern zu kön-
nen; genannte Persönlichkeit blieb aber unsichtbar.
Schon war von den 6 Stunden Aufenthalt die erste ver-
strichen. Sollte das Schloß von Bellver noch aufgesucht wer-
den, so galt es zu eilen.
Durch ein Gewirr von Gassen und Durchgängen, worin
sich Dädalus selbst mit dem Faden der Ariadne nicht zu-
rechtgefunden hätte, brachte der Führer die Touristen vom
Cortplatz zum Mercadoplatz, und 150 Meter weiter erreich-
ten sie den Theaterplatz.
Clovis Dardentor konnte hier einige Einkäufe machen,
ein paar Majolikaarbeiten, wofür er einen recht anständi-
gen Preis bezahlen mußte. Patrice, der beauftragt worden
war, die Sachen nach dem Dampfboot zu besorgen und in
der
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