Club Dead
parat, auch wenn mir bestimmt noch ein anderer potentieller Täter in den Sinn gekommen wäre, hätte ich unsere Unterhaltung aufgezeichnet und mir später noch einmal angehört.
Alcide sagte, es werde nun langsam Zeit, sich auf den Weg zurück nach Shreveport zu machen. Ich hob die Beine, damit er aufstehen konnte. Das tat er auch, ließ sich aber gleich darauf am Kopfende der Couch auf die Knie fallen, um sich von mir zu verabschieden. Ich sagte all die Dinge zu ihm, die man in einer solchen Situation höflicherweise äußert: wie nett es von ihm gewesen sei, mich in seiner Wohnung übernachten zu lassen, wie sehr ich es genossen hatte, die Bekanntschaft seiner Schwester zu machen, wieviel Spaß es gemacht hatte, mit ihm zusammen eine Leiche verschwinden zu lassen. Nein, letzteres sagte ich natürlich nicht! Aber als ich da so auf dem Sofa saß, ganz das vollendete Produkt der Höflichkeitserziehung meiner Großmutter, schoß es mir durchaus kurz durch den Kopf, mich auch für die Sache mit der Leiche zu bedanken.
„Ich freue mich sehr darüber, daß ich Sie kennenlernen durfte." Alcide hockte näher bei meinem Kopf, als ich eigentlich gedacht hatte, und nun wollte er mir zum Abschied noch rasch einen Kuß auf die Lippen drücken. Das Küßchen war dann auch an und für sich ganz in Ordnung - nur kehrte er gleich darauf noch einmal zurück, um sich ausführlicher zu verabschieden. Sein Mund war so warm - und nach ein oder zwei Sekunden spürte ich auch seine Zunge, die noch wärmer war. Er neigte ganz sacht den Kopf, um einen besseren Winkel zu haben, und dann machte er sich ans Werk. Seine rechte Hand schwebte über meinem Oberkörper, unentschlossen darüber, wo sie landen konnte, ohne mir weh zu tun. Schließlich legte er sie liebevoll auf meine Linke. Mein Gott, tat das gut. Aber im Grunde waren es nur mein Mund und der untere Beckenbereich, die sich wirklich freuten - alles andere, wirklich der gesamte Rest meines Körpers, tat nach wie vor einfach weh. In einer irgendwie fragenden Art glitt Alcides Hand hinauf zu meiner Brust, woraufhin ich nach Luft schnappte.
„Oh mein Gott, ich habe Ihnen wehgetan!" Alcide zog sich sofort zurück, die Lippen noch rot vom langen Kuß, die Augen begeistert glänzend.
Ich sah mich verpflichtet, mich zu entschuldigen. „Ich fühle mich einfach am ganzen Leib wie zerschlagen."
„Was haben die denn mit Ihnen angestellt?" wollte er mitleidig wissen. „Das waren wohl mehr als nur ein paar Schläge ins Gesicht?"
Anscheinend hatte er gedacht, mein geschwollenes Gesicht sei das größte meiner Probleme.
„Ich wünschte, so wäre es", sagte ich und versuchte, dabei zu lächeln.
Nun wirkte Alcide zutiefst erschüttert. „Da komme ich und habe nichts Besseres zu tun, als Sie anzubaggern."
„Ich habe Sie ja nicht gerade vom Sofa geschubst!" entgegnete ich liebenswürdig. (Ich war viel zu kaputt, um irgend jemanden schubsen zu können.) „Ich habe auch nicht gesagt: 'Mein Herr! Was denken Sie! Sie belästigen mich!' "
Daraufhin wirkte Alcide womöglich noch bestürzter. „Ich komme wieder", versprach er. „Wenn Sie irgend etwas brauchen, dann zögern Sie bitte nicht, sondern rufen mich sofort an." Damit zog er eine Visitenkarte aus der Tasche und legte sie auf das Beistelltischchen neben der Couch. „Hier, das ist meine Nummer im Büro, und ich schreibe Ihnen meine Privatnummer zu Hause und auch die Nummer meines Mobiltelefons auf die Rückseite. Ich hätte auch gerne Ihre Telefonnummern." Gehorsam diktierte ich ihm die entsprechenden Zahlen, die er - nein, ich scherze nicht! - in ein kleines schwarzes Notizbüchlein eintrug. Leider fehlte mir die Kraft, darüber Witze zu reißen.
Nachdem Alcide gegangen war, fühlte sich mein Haus noch leerer an als zuvor. Er war so groß und so voller Energie - so lebendig -, daß es ihm gelang, große Räume mühelos mit seiner Persönlichkeit, seiner Gegenwart, zu füllen.
Offenbar war dies mein Tag für lange Seufzer.
Gegen halb sechs kam Arlene vorbei, die im Merlottes mit Jason gesprochen hatte. Sie musterte mich eingehend, sah ganz so aus, als unterdrücke sie mühsam eine Menge Kommentare, die sie alle nur zu gern von sich gegeben hätte und wärmte mir eine Dose Tomatensuppe. Ich ließ die Suppe kalt werden, ehe ich sie ganz langsam und vorsichtig auslöffelte. Danach ging es mir sofort etwas besser. Arlene räumte das dreckige Geschirr in die Spülmaschine und erkundigte sich, ob ich noch weitere Hilfe brauche. Ich
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