Club der gebrochenen Herzen
den Estragon?«
Andy dachte nicht mehr daran. Er war an diese leisen Enttäuschungen gewöhnt, diese Abgetrenntheit. Er hatte mehr und mehr das Gefühl, im eigenen Zuhause zu vereinsamen. Vielleicht, wenn sie ein Baby hätten, würde sich etwas ändern, aber sie nahm noch immer die Pille, und ihm kam es zu intim vor, das Gespräch darauf zu bringen. Wann ließe sich das Thema anschneiden? Er hatte keine Ahnung.
Eine Woche später. In der Nacht war Schnee gefallen. Die Straßen waren lautlos, mondstill; seine Schritte knirschten, als er auf Enids Weg ging. Seine Gedanken wanderten zum Postman's Park und er fragte sich, ob er fähig war, selbstlos und heldenhaft zu handeln. Enids Mann hatte Fremde aus brennenden Gebäuden gerettet, doch wie konnte ein Mensch heutzutage auf die Probe gestellt werden? War er wirklich sonderbar, wenn er die Inschriften rührend fand?
Enid öffnete die Tür. »Eine nette Dame hat mich gestern besucht«, sagte sie und nahm ihre Briefe. »Wir haben eine Tasse Tee getrunken. Sie will mein Haus kaufen.«
Er dachte nicht weiter darüber nach. Schon möglich, dass es eine ihrer Täuschungen war. Als er allerdings später von der Arbeit heimkam, hörte er Tonis Stimme in der Küche. Sie telefonierte auf dem Handy, ihre Stimme war ganz laut vor Erregung. Er blieb im Korridor stehen.
»Sie ist eine bekloppte alte Schachtel und hat keine Idee, was es wert ist. Ich hab zu ihr gesagt, Sie brauchen keinen Grundstücksmakler, die kosten Sie nur eine Stange Geld und die sind alle Dreck –«
Sie musste ihn gehört haben, denn sie machte die Tür zu.
Er erinnerte sich jetzt; er hatte Toni die Adresse genannt. Sie musste heimlich nach Arnos Drive gefahren sein; sie hatte ihm nichts gesagt, ihr war bewusst, dass es falsch war.
Als Andy nachts neben seiner schlafenden Frau lag, wusste er, dass seine Ehe zu Ende war. Er und Toni waren Fremde, die sich zufällig ein Haus teilten. Seltsamerweise war es eine Befreiung, das in Worte zu fassen. Er verspürte sogar eine merkwürdige Heiterkeit. So, als fühlte er sich irgendwie krank und erhielte schließlich die Krebsdiagnose. Wie schmerzlich das auch war, er konnte das Problem jetzt eingestehen und etwas dagegen tun. Seltsam, er war fast dankbar, als er entdeckte – bestätigt fand –, dass Toni eine so rücksichtslose junge Frau war, die eine senile Witwe übers Ohr hauen konnte.
Er hatte sie diesbezüglich nicht zur Rede gestellt; er hasste Konfrontationen. Außerdem, was sollte das bringen? Die Geschichte mit dem Haus hatte ihm nur etwas verdeutlicht, was er tief im Innern schon die ganze Zeit gespürt hatte. Andy lag da und starrte an die Decke, der Snoopy-Wecker tickte die Minuten – nein, tickte den Countdown. Denn er wusste, während der Schnee draußen weiter rieselte, das war der Anfang vom Ende.
Er träumte, er säße in einem Flugzeug, das nicht abhob. Es taumelte krachend durch die Straßen, die Flügel knallten an beiden Seiten gegen die Häuser. Er konnte hören, wie die Häuser zusammenbrachen und Menschen jammerten. Kinder wurden in den Trümmern begraben, er konnte nichts anderes tun, als hilflos festgeschnallt auf seinem Platz zu sitzen, während das Flugzeug dahinschlingerte auf seinem Weg der Verwüstung.
Andy wachte schweißgebadet auf. Der Schnee tauchte das Zimmer in Helligkeit. Es war Sonntag; er hörte Toni unten in der Küche rumoren, ihr Murmeln, als sie mit ihrem Sohn sprach. Die Gewissheit von vergangener Nacht war verschwunden; er blieb regungslos vor Angst und Verwirrung liegen. Konnte er wirklich aussteigen? Das hatte sein Vater gemacht – die Sachen zusammengepackt und sich verpisst. Männer taten das ständig. Er stellte sich vor, wie er seinen Koffer oben vom Kleiderschrank herunterzog und mit ihm lawinenartig sämtliche Teddybären aus ihrem Verbannungsort herabstürzten. Wie konnte er das Ryan antun? Der Junge hätte das Gefühl, es sei seine Schuld, genau wie er es selbst in seinem Alter gemeint hatte.
Andy drehte sich um und vergrub den Kopf im Kissen. Hatte er wirklich den Mut, Toni zu sagen, dass ihre Ehe am Ende war? Glaubte er das wirklich im kalten Tageslicht? Konnte er nach unten gehen und in einem Satz die Bombe platzen lassen? Er stellte sich vor, wie Toni zu Boden stürzte, vor Wut schreiend, ihr Gesicht tränenüberströmt. Vielleicht würde sie ihn attackieren, mit den Fäusten auf ihn eintrommeln, während Ryan zusah und schrie. Wie konnte er nur ein solches Elend verantworten? Was hatte
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