Club der gebrochenen Herzen
Schulsprecherin jedoch, dem Rollkragenpulli und den Perlen, spürte er eine verunsicherte Frau. Selbst ihr Mangel an Humor konnte als eine Form der Entbehrung durchgehen. Bei all dem Reichtum, könnte man meinen, müsste man sich lockerer fühlen. Aber er hatte die Oberschicht auch nie verstanden; er zog es vor, sie zu bemitleiden. Dieser ganze Anspruch, diese Privilegien, das prächtige Heim mit Staudenrabatten, dabei sah Lavinia nicht glücklicher aus als Connie im Costcutter-Supermarkt.
Und darum tat es ihm in der Seele weh, als er am Nachmittag in der Bar vorbeischaute und die Hälfte ihres Publikums eingeschlafen vorfand. Und das auch noch auf Plastikstühlen! Das morgendliche Unkrautjäten hatte sie erschöpft. Lavinias Demonstration, wie man richtig pikiert, wurde begleitet von einem schniefenden Chor von Schnarchern. Sie jedoch blieb standfest: »Ich würde John Innes, Nummer 2 empfehlen. Wässern Sie die Blumenerde gründlich, bevor Sie die Jungpflanzen einsetzen.«
Buffy ging auf Zehenspitzen zum Tresen, das Notizbuch in der Hand, um den Vorrat zu überprüfen. Als er die Regale absuchte, bemerkte er eine Lücke. Eine Flasche fehlte – eine volle Flasche Jamaica-Rum. Sie war seit Monaten dort, weil heutzutage niemand mehr Rum trank. Offensichtlich aber doch. Er öffnete die Büchse-fürs-Geld – nur ein paar Pfundnoten. Das war für Getränke, nicht für eine ganze Flasche.
Buffy schaute auf die dösenden Gäste, die schlaff in den Stühlen hingen. Konnte wirklich ein Dieb in ihrer Mitte sein? Ein entsetzlicher Gedanke. Er führte die Pension auf der Basis von Offenheit und Vertrauen – mein Zuhause ist dein Zuhause, lies meine Bücher, spiel meine CD s. Seinen ursprünglichen Plan, das Wohnzimmer für den Eigenbedarf abzusperren, hatte er nie verwirklicht; sollten die Leute ruhig zum Plaudern rein- und rausspazieren, er konnte sich immer, wenn er entfliehen wollte, in die Küche oder sein Schlafzimmer zurückziehen. Bisher war, soweit er wusste, nichts gestohlen worden. Vielmehr schien das Gegenteil der Fall zu sein. Die Gäste ließen Sachen zurück – Schals, Regenschirme, Bücher, Sonnenbrillen, Bodylotion, sogar eine Wachsjacke, deren Besitzer er nicht hatte ausfindig machen können und die er sich schließlich selbst unter den Nagel gerissen hatte. Man könnte sogar sagen, er hatte in dieser Hinsicht einen bescheidenen Gewinn erzielt.
Lavinia sagte gerade: »Diese kleinen Burschen bringen ihre ersten Blüten im frühen April hervor und liefern die dringend benötigte Farbe im Garten. In Tite Hall pflanzen wir sie zwischen die Tulpen, eine Idee, die ich von Chatsworth House geklaut habe.«
Buffy blickte sie finster an. Womöglich war sie kleptomanisch. Jeder wusste, dass der Adel die Moral von Iltissen hatte, so wurden sie ja überhaupt erst Adlige. Vielleicht war sie Opfer ihrer unbezähmbaren Triebe wie Lady Isobel Barnett, die Berühmtheit aus dem Fernsehen und Ladendiebin!
India und Voda wüssten nichts von dieser Barnett-Frau; sie war vor ihrer Zeit, wie Charlie Drake. Es wäre allerdings besser, ihnen vom letzten Diebstahl zu berichten.
Buffy verließ die Bar und ging den Korridor entlang zur Küche. Sie war leer, bis auf den schlafenden Hund auf dem Flickenteppich. Ein köstlicher Backgeruch lag in der Luft.
Harold
Kurz zuvor war Harold für einen Plausch in die Küche gewandert. Voda machte gerade einen Kuchen. Nachdem sie den Teig in die Kuchenform gegossen hatte, ließ sie ihn den Löffel ablecken, etwas, was er seit seiner Kindheit in Golders Green nicht mehr getan hatte. Er fand auch heraus, dass sie Hühner hielt. Er erzählte ihr von seinen eigenen Küken, vollgefiedert inzwischen, aber auf eine neue Weise abstoßend.
»Sie haben sehr unattraktive schuppige Beine gekriegt«, sagte er.
»Das wird das Kalkbein sein«, sagte sie.
»Heißt das so?«
Sie nickte. »Es wird von der Kalkbeinmilbe verursacht.«
»Na so was. Und was soll ich dagegen tun?«
»Sie brauchen Puder gegen Kalkbeinmilben. Wird in Bobs Laden für Geflügelzubehör verkauft.«
Sie sagte noch, Bobs Laden befinde sich im Gewerbepark hinter der Umgehungsstraße, und bot sich an, ihn dorthin zu bringen.
»Sie werden's nie finden, und ich brauche eine Pause.« Sie schob den Kuchen in den Backofen und wischte sich die Hände ab. Als sie den Korridor entlanggingen, konnten sie Lavinias sonore Stimme in der Bar hören. Harold schwänzte wieder, aber was soll's. Er war erwachsen, er konnte tun, was er
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