Club der gebrochenen Herzen
zwar lächerlich, wo er doch viel zu fett war und mindestens zwanzig Jahre älter als sie, aber er strahlte etwas Verwegenes und Glitzerndes aus, ein Hauch von Theaterschminke, leicht berauschend für eine mit ihrer Herkunft. Unter Bohemiens hatte man viel mehr Spaß als in aristokratischen Kreisen, wo die Männer die reinsten Stockfische waren. Im Übrigen war er, nach dem Foto in der Bar zu urteilen, einmal ein ziemlich attraktiver Kerl gewesen. Und er plauderte . Sie war das nicht gewohnt und fühlte sich, als ob sie zum ersten Mal einen Tonfilm erlebte – alle öffneten den Mund, und Worte strömten heraus! Sie hatte auch das Gefühl einer gewissen Komplizenschaft zwischen ihnen beiden, bedingt durch ihre Rollen als Kursleiter und Gastgeber. Es hatte ein angenehmes Köpfezusammenstecken auf dem Korridor gegeben, als er ihr von seinen ›gestohlenen‹ Sachen erzählt hatte. Man stelle sich vor, jemand hatte seine BAFTA -Maske als Türstopper benutzt! Und der Rum war im Kuchen verschwunden! Sie war als Kichertante rübergekommen; es erinnerte sie an ihr Verknalltsein in Belinda Grosvenor damals zu Schulzeiten.
Als sie sich nun allerdings zum Essen hinsetzten, saß sie auf einmal neben Mary Taylor. Ihr wurde ganz flau im Magen. An diesem Abend sah Mary in ihrem roten Kostüm und der weißen Bluse wie eine Stewardess von Ryanair aus. Sie guckte Lavinia mit gerunzelter Stirn an.
»Ich bin mir sicher, dass ich Sie schon mal irgendwo gesehen habe«, sagte sie. »Ich habe die letzten zwei Tage versucht, es herauszubekommen.«
»Vielleicht haben Sie meinen Garten im National Gardens Scheme besucht«, sagte Lavinia. Vor dieser Unterhaltung hatte sie sich gefürchtet.
Mary schüttelte den Kopf. Ihre Bluse schloss am Hals mit einer ausgefallenen Brosche ab. Waren das echte Diamanten? Jensens, die Juweliere, hatten eine Diebstahlserie zu verzeichnen, es hatte in der Lokalzeitung gestanden. »Ich habe mich bis vor kurzem nicht fürs Gärtnern interessiert«, sagte Mary. »Das war die Domäne meines Mannes. Er sah es nicht gern, wenn ich ihm half, er sagte, ich würde immer das Falsche herausziehen. Aber jetzt, da er tot ist, habe ich gedacht, es ist besser, wenn ich es in den Griff bekomme. Darum bin ich hier.« Sie hielt inne. »Sie waren doch nicht in der Weihnachtspantomime? Im Versammlungssaal.«
»Du meine Güte, nein«, sagte Lavinia.
»Gleich habe ich es«, sagte Mary. »Ich spüre, ich bin kurz davor.«
Lavinia drehte sich schnell zu Harold auf ihrer anderen Seite.
»Wo waren Sie am Nachmittag? Ich habe bemerkt, dass Sie im Kurs fehlten.«
»Tut mir leid«, sagte Harold. »Ich habe Zeug für meine Hennen gekauft. Dann habe ich mich auf die Umgehungsstraße gestellt und meinen Anrufbeantworter abgehört. Man hat dort Empfang.«
»Zu Hause alles in Ordnung?«, fragte Lavinia. Was sie nicht die Bohne interessierte, aber das Gespräch musste weitergehen.
»Erfreuliche Nachrichten. Meine Tochter, sie lebt in Australien, hat sich entschieden, nach London zurückzuziehen. In ein paar Wochen kommt sie mit ihrer Familie. Ich werde also nicht mehr allein im Haus herumgeistern.«
Sie plauderten eine Weile über Harolds Leben in Hackney. Alles, nur nicht mit Mary konfrontiert werden, die noch immer angestrengt herauszufinden versuchte, wo genau sie sich begegnet waren. Im Übrigen mochte Lavinia Harold; er hatte etwas von Buffys zerknittertem Charme, nur war er jünger und jüdischer. Sie hatte nie einen Mann gesehen, der weniger von einem Gärtner an sich hatte, doch deshalb war er ja hier.
Voda, Buffy und India erschienen mit dem Essen. Im selben Augenblick passierte zweierlei: Neben Lavinia hörte man ein scharfes Luftholen. Mary hatte sich erinnert! Und es klingelte an der Tür.
Lavinia sprang auf. Gerettet. »Ich geh schon!«, rief sie den Gastgebern zu, die mit Tellern beladen waren. Sie war eine vom Team, eine der Bohemiens. Sie fragte sich, ob sie wie Voda ihr Haar mit einem Staubtuch hochbinden sollte?
Lavinia eilte hinaus auf den Flur und öffnete die Tür. Es goss immer noch in Strömen. Ein patschnasser Mann stand da, in der Hand eine Plastiktüte.
Er starrte sie an und wich zurück. »Was zum Teufel machen Sie denn hier?«
Sie blickte ihn prüfend an. Er kam ihr bekannt vor.
»Wo ist meine Voda?« Er drängte sich, Alkohol ausdünstend, an ihr vorbei und marschierte den Flur entlang. Sie folgte ihm ins Esszimmer.
»Voda!«, rief er.
Voda erstarrte, den Teller in der Hand. »Conor! Was tust du
Weitere Kostenlose Bücher