Club der Verdammten 2 - Liebesseele (German Edition)
den Körper graviert. Wenigstens war es nicht das Bild der Greisin, das sie zuletzt im Seniorenheim abgegeben hatte. Emily erhob sich in die Luft. Sie zog einen weiten Kreis um das Hotelgebäude und beobachtete das Treiben in der Innenstadt. Das Verkehrschaos hielt unvermindert an, allerdings hatten sich die Menschentrauben an den Haltestellen aufgelöst.
Sie steuerte Richtung Osten. Sollte sie Daniel zuerst am Wasserturm suchen oder sich auf den Weg zum Schloss begeben? Nachschauen, ob dort alles in Ordnung war?
Pah, wen interessierte das … natürlich war nichts in Ordnung. Wahrscheinlich gab es auch dort keinen Strom, dazu musste mittlerweile aufgefallen sein, dass Cangoon nicht mehr da war. Sie stieß ein heiseres Krächzen aus. Das traf sich ja mal gut. Vielleicht hatte man das Verschwinden erst so spät bemerkt, dass kein Verdacht mehr auf sie fallen konnte? Sofern der Stromausfall auch die Gegend um Canvey Island betraf. Aber … dann wäre ja auch Daniel aus dem Schneider und ihr Ziel verfehlt. Niemand würde ihn zur Rechenschaft ziehen. Verdammt. So hatte sie sich das nicht vorgestellt.
Und zum Teufel, was war das für ein widerlicher Gestank? Sie überflog ein Industriegebiet. Der Geruch verschärfte sich. Flammen und Rauch stiegen aus einem Metallcontainer auf. Einige Männer standen herum und wieder andere warfen große Brocken in die Glut. Was trieben die dort? Trotz ihrer Probleme meldete sich Emilys Neugier und sie verlangsamte ihren Flug, ging tiefer und landete auf einer Hochspannungsleitung.
Fleisch. Die Männer verbrannten Fleischstücke. Riesige Brocken, nein, das mussten halbe Rinder sein. Sie blickte sich um und sah ihre Vermutung bestätigt. Eine Großschlachterei. Mangels Kühlung mussten sie ihre Vorräte vernichten, ansonsten würden sie eine Armee an Maden und Ungeziefer züchten.
Wie gut, dass ihre Nahrung nicht so schnell ausgehen konnte … Apropos Nahrung. Ihr Durst meldete sich und verursachte ein Brennen in der Kehle. Emily flog einen Kreis und verwandelte sich bei der Landung auf dem Boden zurück in ihre menschliche Gestalt. Diese Umwandlungen kosteten immer eine Menge Energie. Emily hatte eine Seite des Gebäudes gewählt, die einen schmalen Schatten warf. Sie schlich an das nächstliegende Fenster und lugte hinein. Ein Mann saß mit hochgelegten Füßen vor einem Schreibtisch. Er starrte auf einen blinden Monitor, als versuchte er, den Strom herbeizumeditieren. Emily klopfte an die Scheibe und zuckte blitzschnell zurück. Sie hoffte, ihn dazu zu bewegen, aus dem Nebenausgang zu treten. Nichts rührte sich. Nach einer Weile wagte sie einen weiteren Blick. Der Kerl hatte die Füße vom Tisch genommen, aber er schaute nicht in Richtung Fenster. Sie klopfte erneut. Diesmal dauerte es keine zehn Sekunden und die Tür flog auf.
„Welcher Drecksack treibt sich hier …“
Weiter kam der Mann nicht. Emily trat ihm entgegen. Sie lächelte, ihr Blick bohrte sich in seinen und führte den Mann in Trance. Er legte willig den Kopf zur Seite, als sie sich mit geöffnetem Mund seiner Haut näherte und ihre Fangzähne in seiner Schlagader vergrub. Emily genoss die Mahlzeit, hörte aber rechtzeitig auf, sodass sie dem Mann nicht das Leben nahm. Sein Gesicht schien wie gekalkt, als sie seine Wunde mit der Zunge überfuhr und ihn zu Boden gleiten ließ. Nicht nur in diesem Punkt waren Lara und sie den Schattenseelen ähnlich. Sie konnten ihren Blutdurst kontrollieren und die Wunden der Opfer mit ihrem Speichel verschließen. Niemand würde sehen, dass der Mann von einem Vampir gebissen worden war – aber ein Arzt hätte wahrscheinlich mächtige Probleme, herauszufinden, was den hohen Blutverlust zu verantworten hatte. Warum hatte sie ihn am Leben gelassen? Eigentlich war es ihr vollends egal …
Die sanften Wellen des Indischen Ozeans umspielten Paulas Fußknöchel, während sie mit Tjara den feinen Sandstrand in der Nähe von Albion entlanglief. Kein Mensch war zu dieser frühen Stunde unterwegs, lediglich die Fischer arbeiteten in einiger Entfernung bereits an ihren Booten und Netzen. Auf dem Wasser schaukelten ein paar verschlafene Jachten und unweit des Bootsstegs zog ein Segler mit seiner Jolle vorbei. Sie lächelte verträumt, als sie den Bootsnamen las: Paula-Lee. Was für ein Zufall – obwohl ja nur die Hälfte des Namens passte.
Der Wind ging heute etwas frischer, die Palmwedel bogen sich in nordöstliche Richtung. Die Wintermonate auf Mauritius hatten gerade begonnen,
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