Club der Verdammten 2 - Liebesseele (German Edition)
nicht von ihr ab, aber die Welt würde nicht untergehen, wenn sie sich für ein paar Stunden auf die Suche nach Daniel begab. Oder?
Daniel! Sie würde bis ans Ende der Welt fahren, um ihn aufzuspüren. Leider reichte dazu die Zeit nicht … deshalb betete sie, dass es ihr schnell gelänge.
Lieber Himmel, was hatte sie getan? Was hatte sie sich nur dabei gedacht, das Monster freizulassen? Sie hätte es doch besser wissen müssen. Sie hätte sich im Klaren sein sollen, zu was Cangoon fähig war. Hatten die anderen sie nicht eindringlich gewarnt? War die Sache mit Paula nicht schlimm genug? Sie hätte fast ihr Leben bei Cangoons Anschlag verloren. Nicht nur sie – auch Daniel und Luka wären von seinen Machenschaften betroffen gewesen. Wie hatte sie sich zu einer solch hirnverbrannten Kurzschlussreaktion hinreißen lassen können?
Oh, mein Gott. Daniel. Was hatte sie ihm angetan. Emily krümmte sich auf dem Fußboden. Sie fühlte sich, als zerquetschte die Seelenqual sie, als drückte die Last sie mit tonnenschweren Gewichten nieder. Sie schrak auf, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte.
„Emily. Du meine Güte, was machen Sie hier? Ich dachte, Sie sind längst in Paris?“ Rebecca fasste sie unter den Armen und hievte sie hoch. „Mädchen, Mädchen, was machen Sie für Sachen?“
Obwohl die Stimme vorwurfsvoll klang, sah Emily keine Zurechtweisung in Rebeccas Zügen. Sie trug ihr dunkles Haar straff zurückgekämmt. Wie immer strahlte sie eine unglaubliche Würde aus, trotz ihrer schwarzen Teddyaugen. Emily ließ sich ein Taschentuch reichen und trocknete ihre Wangen.
„Kommen Sie, Emily. Ich bringe Sie in ein Badezimmer, damit Sie sich etwas frisch machen können.“
Sie musste sich an der Haushälterin festhalten, der Boden schien unter Emilys Füßen zu schwanken. Im Bad brauste sie sich das Gesicht ab. Dann hob sie den Kopf und schaute in den Spiegel. Sie erstarrte. Das durfte doch nicht wahr sein. Ihre Haare waren mausgrau, ihr Gesicht eingefallen und von tiefen Falten gezeichnet. Nein, sie sah nicht aus wie als 93-Jährige im Seniorenheim. Emily erfasste weiterhin das Antlitz, die Haare und die Figur, die sie in ihrer Vorstellung erschaffen hatte – aber sie schien dennoch um Jahrzehnte gealtert. Sah Rebecca sie genauso?
„Rebecca …“, schluchzte Emily. „Rebecca, sehe ich aus wie eine Greisin?“
Die Hexe rieb sich die Hände an ihrer Hose. Emily las die Antwort in ihrem Gesicht.
„Also ja! Lassen Sie nur, Sie brauchen es nicht zu sagen.“ Sie starrte weiterhin ihr Spiegelbild an. Verzweifelt versuchte sie, eine andere Gestalt hervorzurufen, ihr Aussehen dem Gewünschten anzupassen. Es gelang nicht. So sehr sie sich anstrengte, es funktionierte einfach nicht. Schließlich gab Emily auf.
„Das wird schon wieder“, versuchte Rebecca zu trösten, doch Emily wusste es besser.
In der Küche erfuhr sie bei einem Glas Stroh-Rum die neuesten Erkenntnisse die Naturkatastrophe betreffend. Auch, dass in wenigen Tagen mit weit schlimmeren Ereignissen gerechnet wurde, die Regierungen die Warnungen aber nicht ernst genug nahmen. Zwar planten die Energieversorger, ihre Leistungen zu drosseln und die Anlagen teilweise stillzulegen, damit keine Überspannungsschäden eintreten würden, doch sie wollten keinesfalls die Versorgung für mehrere Tage komplett einstellen, zumal man nicht wisse, ob die Voraussagen sich tatsächlich als so schwerwiegend erwiesen, wie vereinzelte Wissenschaftler prophezeiten. Angeblich hielt man es für Geschwätz. Panikmache. Wichtigtuerei.
„Und was denkt ihr?“
Lorenzo sprach in seinem tiefen, ruhigen Bass. „Ich glaube, dass die Experten recht haben. Wir erwarten eine Katastrophe von so unglaublichem Ausmaß, dass die Menschheit um Jahrhunderte zurückgeworfen wird. Wenn es nicht sogar das Aus für unseren Planeten bedeutet.“
„Um Himmels willen!“ Emily keuchte auf. „Kann man nichts dagegen tun?“
„Beten. Unsere Gilden haben sich vor drei Tagen vereinigt und man versucht, mit geballter Magie den Naturgewaltenentgegenzutreten, aber es ist aussichtslos. Wir kommen gegen die Mächte nicht an.“
„Wisst ihr, wo Daniel ist?“
„Nein. Wir haben ihn seit Dienstag nicht gesehen.“
Emily rechnete nach. Das war einen Tag, bevor der Stromausfall begonnen hatte. Die Nacht, in der sie zu Stein erstarrt auf der Brüstung des Wasserturms gesessen hatte. Der darauf folgende Morgen, an dem sie Cangoon aus seinem Gefängnis befreit hatte …
Oh lieber
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