Club Kalaschnikow
einen Kriegsschauplatz. Valeria und Pawels Mutter konnten nicht unter einem Dach leben.
Um eine feuchte Kellerwohnung zu bekommen, nahm Pawel die Hausmeistersstelle an. Ihm gefiel es, am frühen Morgen, noch vor der Dämmerung, Laub zu harken und Eis zu hacken. Es war still und menschenleer, niemand belästigte ihn und fiel ihm mit dummem Geschwätz auf die Nerven. Raschelndes Laub, knirschendes Eis, gluckerndes Tauwasser – jede Jahreszeit hat ihre Schönheit, ihre Stille, ihre Geräusche und Gerüche.
Valeria hatte gern Besuch und saß nächtelang mit ihren Gästen zusammen, bei Ceylontee, leckeren Süßigkeiten aus der Konditorei und billigem süßem Rotwein. Die Tür zurHausmeisterswohnung war immer offen, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen von allerlei bettelarmen Künstlern. Dichter trugen sonderbare, verschwommene Gedichte vor, gedankenverlorene Hippies vom Puschkinplatz tappten herein, ständig war jemand zum Essen da, wusch sich in dem schäbigen Bad mit dem Gasbrenner und blieb über Nacht. Es war Pawel ein Rätsel, wie und wo Valeria diese ganzen sonderbaren Gestalten aufgabelte und sich mit ihnen anfreundete.
Außer dem Wohn- und Schlafzimmer gab es noch eine kleine Abstellkammer mit einem trüben Fensterchen direkt unter der Decke. Mit der Zeit siedelte Pawel in diese Kammer über – nicht weil ihm Valerias Lebensstil mißfallen hätte, er war nur einfach sehr müde. Um fünf Uhr morgens stand er auf, erledigte seine Hausmeisterarbeiten, fuhr in die Universität und saß dort bis spät abends im Computerraum.
Die Zeit verging, Pawel machte seine Examen. Plötzlich stellte sich heraus, daß sein Vater, dieser ruhige, vernünftige Mann, seit vielen Jahren eine andere Frau liebte und nur darauf gewartet hatte, daß sein Sohn erwachsen wurde. Nun hatte das Warten ein Ende, und er verließ seine Frau, im Gepäck nur ein paar Anzüge, Rasierapparat und Zahnbürste.
Die Mutter stürzte sich in ihren letzten, entscheidenden Kampf. Es sollte ihr Schwanengesang werden. Sie suchte ihren Mann und seine Geliebte an deren Arbeitsstellen auf, wandte sich an Partei und Gewerkschaft, schrieb einen Brief an die Zeitschrift »Die Arbeiterin«. Dann wurde sie krank. Zuerst glaubte Pawel, es sei nur eine Fortsetzung ihres endlosen Kampfes mit anderen Mitteln. Aber bald stellte sich heraus, daß seine Mutter tatsächlich ein kompliziertes Herzleiden hatte.
Nach dem Tod der Mutter war Pawel lange Zeit ganz durcheinander, fühlte sich schuldig und begriff plötzlich,daß er seine Mutter sehr geliebt hatte. Egal, wie sie gewesen war – er hatte sie geliebt.
Er zog mit Valeria in die Wohnung seiner Eltern. Valeria machte ihr Examen am Institut für Ernährungswissenschaften, gab ihre Arbeit in der Bäckerei auf, ließ sich ihre hellblonden Haare raspelkurz schneiden, schmückte Arme und Hände kiloweise mit klirrenden Silberreifen und –ringen, hüllte die Schultern in ein schwarzweißes arabisches Fransentuch, kaufte sich ein kleines Skizzenbuch und Aquarellfarben und begann abstrakte Bilder zu malen, verschwommene blaurosa Muster mit gelben Klecksen.
Die Gäste, die weiterhin scharenweise kamen, wurden immer seltsamer. Besonders fiel Pawel ein zwergenhaftes Männchen unbestimmbaren Alters auf, das mit seinen verfilzten schmutzigen Bartzotteln aussah wie ein Waldschrat. Es war Januar und eisig kalt, aber das Männchen lief mit Plastikschlappen an den nackten Füßen herum. Es reichte Pawel eine kleine schweißige Hand mit langen schwarzgeränderten Fingernägeln und sagte mit unerwartet tiefer Baßstimme:
»Ich heiße Wanderfullio, von englisch ›wonderful‹.«
Die Wohnung duftete nach indischen Aromastoffen. Den Tee bereitete Valeria nun aus irgendwelchen Gräsern zu, ihre Mahlzeiten bestanden nur noch aus Körnern und Möhren. Die schädlichen Leckereien waren vergessen wie überhaupt alle giftige eiweißhaltige Nahrung – Fleisch, Fisch, Käse.
Nach dem Abschluß seines Studiums arbeitete Pawel in einem großen wissenschaftlichen Institut. Dort gab es zum Glück eine recht gute Kantine. Mit der Zeit verlegte er seinen Wohnsitz fast ganz ins Institut, ging frühmorgens weg und kam erst am späten Abend heim. Aber Valeria schien das gar nicht zu bemerken.
Jede Art von Beziehungsdiskussionen, auch die allerfriedlichsten, riefen bei Pawel seit früher Jugend einenunerträglichen Widerwillen, fast schon einen körperlichen Schmerz hervor. Er zog es vor, bis zum letzten zu schweigen, wenn ihm irgend
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