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Club Kalaschnikow

Club Kalaschnikow

Titel: Club Kalaschnikow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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anließ.
    Damals, vor einem Jahr, hatte es auch in Strömen geregnet, und Wertinski hatte im Auto gesungen. War das wirklich schon ein Jahr her? Für Pawel war es ein ganzes Leben; für Katja nur ein Augenblick, eine Bagatelle. Am ersten Oktober würden sie ein kleines Jubiläum feiern können. Zusammen. Natürlich zusammen. Jetzt würde sie niemand mehr stören.
    Er bekam plötzlich Lust, an dem finsteren Stalinhaus vorbeizufahren, wo er Katja vor einem Jahr zum ersten Mal gesehen hatte.
     
    Pawel hatte schon als Kind kaum gesprochen.
    »Du solltest Eremit in der Wüste werden«, sagte seine Mutter, »wieso schweigst du die ganze Zeit? Erzähl, wie’s in der Schule war, was du erlebt hast!«
    »Nichts Besonderes«, erwiderte Pawel, ohne den Blick vom Buch zu heben.
    »Bei dir gibt es nie was Besonderes. Was hast du da? Was ist so ungeheuer interessant? ›Die Physik der Festkörper‹.« Die Mutter nahm ihm das Buch weg und las laut und mit Pathos den Titel auf dem Umschlag vor, klappte das Buch zu und schob es in eine Ecke der Anrichte. »Du darfst nicht ununterbrochen lesen, du verdirbst dir die Augen. Warum spielst du nicht Fußball wie die anderen Jungs? Du hast doch bald Geburtstag. Soll ich dir dann Piroggen backen? Du lädst dir ein paar Freunde ein, und wir organisieren eine lustige Party.«
    »Nicht nötig.«
    Pawel holte sich das Buch zurück, schlug es an der richtigen Stelle wieder auf und las unter den Vorhaltungen seiner Mutter weiter, ohne den Kopf zu heben.
    »Pawel, was soll ich bloß mit dir machen? Alle habennormale Kinder, nur ich habe so einen Sonderling. Warum hast du keine Freunde? Sind die anderen nicht nett zu dir? Hänseln sie dich?«
    »Nein.«
    In der Schule war tatsächlich alles normal. Er war kein gehemmtes oder komplexbeladenes Kind. Er war einfach lieber allein als in Gesellschaft und begriff nicht, wieso man in der Pause herumrasen und krakeelen und nach dem Unterricht Fußball spielen mußte. Er hatte keine Lust, auf der Toilette zu rauchen und darüber zu diskutieren, welche Jeans angesagter waren, Wrangler oder Levi’s, wer beim morgigen Match zwischen »Spartak« und »Dynamo« das erste Tor schießen würde und welches Mädchen die längsten Beine hatte.
    »Mach dir keine Sorgen«, beruhigte Pawels Vater seine Frau. »Wäre es denn besser, er würde jeden Abend im Hof herumlungern, auf der Gitarre klimpern, trinken und mit Mädchen herumknutschen?«
    »Ja! Ein normaler Junge hat seine Clique. Und was die Mädchen betrifft, die meidet er ja wie die Pest.«
    »Galja«, der Vater seufzte, »er ist ein normaler Junge. Alles hat seine Zeit. Jetzt beendet er erst mal die Schule, geht zur Uni, wird erwachsen und selbständig …«
    »Aha!« schrie die Mutter. »Und dann schnappt ihn sich irgendeine Schlampe! Die Natur bricht sich irgendwann Bahn, aber er wird mit fünfundzwanzig ein unerfahrener Grünschnabel sein, dem jede Frau wie eine Göttin vorkommt!«
    Nach dem Abitur schrieb sich Pawel an der Moskauer Universität ein, an der Fakultät für Informatik und Kybernetik. Im sechsten Semester brachte er zum ersten Mal ein Mädchen nach Hause und teilte seinen Eltern sofort mit, er werde heiraten. Er stellte sie vor vollendete Tatsachen.
    Valeria war hellblond und weich, duftete wie ein frischer Biskuit und arbeitete als Verkäuferin in einer kleinen Bäckerei.Abends büffelte sie für ihr Fernstudium in Ernährungswissenschaften.
    Pawel war ein heimliches Leckermaul. Die junge Verkäuferin wurde bald auf den mageren bebrillten Studenten aufmerksam, begrüßte ihn mit einem zärtlichen Lächeln und holte für ihn unter der Theke die bescheidenen Schätze hervor, die Anfang der achtziger Jahre Mangelware waren: Vanillepastillen, Lebkuchen mit Pfefferminzgeschmack, »Baltika«-Marmelade.
    Einmal erschien er kurz vor Ladenschluß, und sie bat ihn, am Ausgang auf sie zu warten. Danach saßen sie auf einer Bank an den Patriarchenteichen und küßten sich, und ihre Lippen schmeckten nach säuerlichem Gelee.
    Pawels Mutter richtete ihre geballte Kampfeskraft gegen die zarte Valeria. Eine Verkäuferin war unter dem Niveau ihres talentierten Sohnes! Gab es etwa an der Universität keine passenden Mädchen?
    Die Probleme begannen mit dem Wohnraum – das Übliche in Moskau. In Valerias Zweizimmerwohnung drängten sich außer ihr noch ihre Eltern und die ältere Schwester mit ihrem kleinen Sohn. Pawels Eltern hatten zwar eine geräumige Dreizimmerwohnung, aber sie verwandelte sich rasch in

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