Club Kalaschnikow
stinkenden starken Zigaretten qualmte.
»Nein«, erwiderte Irina aufgebracht und rührte den Grießbrei in ihrem Aluminiumtopf.
»Das sollten Sie aber. Ihre Kleine kriecht durch den Flur und steckt sich hinterher die Finger in den Mund. Das ist unhygienisch. Kaufen Sie lieber ein Laufgitter und behalten Sie das Kind im Zimmer.«
»Was geht Sie das an. Sie rauchen hier in der Gemeinschaftsküche und halten Vorträge über Hygiene«, giftete Irina zurück.
Die kleine Margarita erhob sich von den Knien, zog sich am Bademantel ihrer Mutter hoch und blickte bald zur Mama, bald zu der dicken bösen Tante empor, lauschte aufmerksam, wie beide schrien, und brach dann in ein ohrenbetäubendes Geschrei aus.
»Brüll nicht!« herrschte Irina sie an. »Brüll nicht, hab ich gesagt!« Und sie gab ihr einen schmerzhaften Klaps auf den Po.
Margarita schrie nun erst recht, fiel zu Boden und strampelte mit den in gestopften Socken steckenden Beinchen.
»Du Biest! Du Miststück! Hörst du endlich auf zu brüllen?!«
Irina versuchte, ihre einjährige Tochter vom Boden aufzuheben,von dem Geschrei klirrte es ihr in den Ohren. Der Grießbrei floß zischend auf den Gemeinschaftsherd. Die Grigorenko drückte ihre Zigarette aus und schnaubte von oben herab: »Das ist ja furchtbar! Wozu schaffen Sie sich Kinder an, wenn Sie nicht mit ihnen fertig werden?«
Irina klemmte sich Margarita, die sich vor lauter Brüllen schon verschluckte, unter den Arm, packte den Topf mit dem angebrannten Brei und rannte zurück in ihr Zimmer.
»Und wer macht den Herd sauber?« kreischte ihr die Nachbarin triumphierend nach.
Irgendwo in der Ferne löste sich Irinas Traum von einer eigenen, blitzsauberen Küche in regenbogenfarbigem Nebel auf.
Jewgeni kam immer später von der Arbeit nach Hause. Er roch nach Schnaps und billigem Parfum. In seinem Institut wurde von Personalkürzungen gesprochen. Irina wartete auf den Herbst, dann würde sie das Kind in die Krippe geben und wieder arbeiten. Aber ihr größter Wunsch war, endlich wieder einmal ausschlafen zu können. Margarita weinte jede Nacht, und die boshafte Grigorenko klopfte gegen die Wand. Irina ertappte sich manchmal dabei, daß sie im Stehen einschlief.
Man schrieb April 1975. Margarita war ein Jahr alt.
Die alte Nachbarin, die alle volkstümlichen Vorzeichen kannte und versichert hatte, es würde ein Junge, fror so heftig, daß sie über Nacht den Heizofen ganz nah an ihr Bett schob. Die Fransen des alten staubigen Bettüberwurfs kamen mit der glühenden Spirale des Öfchens in Berührung und begannen leise zu schwelen.
Kapitel 5
Pawel Dubrowin saß am Computer und konnte sich nicht konzentrieren. Wie von selbst rutschte seine Hand zum Telefon, er mußte sich dauernd zur Ordnung rufen.
Rühr sie jetzt nicht an, laß sie in Ruhe. Du hast so lange gewartet, jetzt kannst du auch noch ein bißchen länger durchhalten. Gib ihr Zeit, zur Besinnung zu kommen. Was ist dabei herausgekommen, als du neulich angerufen hast? Nichts Gutes. Also warte.
Aber die Hand strebte zum Telefon, die Finger trommelten nervös auf den Hörer. Über den Computerbildschirm schwammen bunte Fischchen.
»Schläfst du, oder was ist los? Wenn du müde bist, geh etwas essen.«
Pawel blickte sich um. Hinter ihm stand der stellvertretende Direktor der Firma und starrte verwundert auf den Monitor. Alle waren gewohnt, daß Pawel schuftete wie ein Irrer, sein Bildschirm kam nie zur Ruhe, besonders jetzt, wo Dubrowin neue Programme zur Sicherung des automatischen Dokumentenumlaufs entwickelte. Er hatte so viel Arbeit, daß ihm die Zeit zum Essen fehlte.
»Ich beobachte dich schon seit einer halben Stunde«, sagte der stellvertretende Direktor und grinste gutmütig, »du bist heute ganz von der Rolle. Du bist doch nicht krank? Vielleicht gehst du besser nach Hause?«
»Ja.« Pawel nickte. »Mir glüht der Kopf. Ich glaube, ich lege mich besser ins Bett und hole morgen alles nach.«
Draußen regnete es in Strömen. Pawel lief durch die Pfützen zu seinem schwarzen Lada, befestigte die Scheibenwischer an der Windschutzscheibe, setzte sich ans Steuer und schob den Kassettenrecorder in den Schacht. Er fuhr niemals ohne Musik. Das Handschuhfach war mit Kassetten vollgestopft. Hauptsächlich Klassik – Mozart, Vivaldi, Mendelssohn, Tschaikowski. Keine Popmusik. Ein paar alteJazzaufnahmen, russische Romanzen, Lieder von Wertinski aus den dreißiger Jahren. Wertinski war es auch, den er jetzt anstellte, bevor er den Motor
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