Club Kalaschnikow
Lidschattens bedeckt, das andere bepinselte sie gerade sorgfältig mit Türkisblau.
»Hörst du mich? Du tust keinen Handschlag im Haushalt, lebst hier wie im Hotel!« schrie Irina weiter aus der Küche.
Margarita hielt den Spiegel dicht vors Gesicht, holte dann aus der Schreibtischschublade ein Fläschchen Waschlotion und rieb mit einem Wattebausch langsam den blaßgrünen Lidschatten ab. Nein, das war nicht ihr Farbton. Türkisblau stand ihr besser.
Irina stürzte ins Zimmer und packte ihre Tochter unsanft am Arm. »Ach, du Miststück! So bereitest du dich also auf die Prüfung vor?«
»Mama, man muß schon vollkommen bescheuert sein, um bei der Prüfung für dein erbärmliches Lebensmittelinstitut durchzufallen«, sagte Margarita ruhig und befeuchtete ihr Auge vorsichtig mit einem Kosmetiktuch. »Den Pilz wasche ich gleich, reg dich nicht auf. Schon’ deine Nerven.«
Sie stand auf, küßte ihre Mutter auf die mollige Wange und tänzelte in die Küche. Die ausgetretenen Pantoffeln rutschten ihr von den Füßen. Der Morgenmantel aus Kattun war uralt und abgetragen. Margarita hatte ihn schon im achten Schuljahr im Handarbeitsunterricht genäht.
»Schon’ deine Nerven! Als ob du dich für meine Nerven interessierst!« schrie Irina ihr hinterher. »Du bist genau wie dein Vater! Geld ausgeben, das kannst du, Kosmetika kaufen und dir die Fresse anmalen, dafür hast du Geld, aber deiner Mutter gibst du keine Kopeke! Wie lange liegst du Schmarotzerin mir noch auf der Tasche?«
Der weiße Plastiktisch in der Küche war schon längst rissig geworden, die karierten Gardinen waren alt und verblichen. Die Zwiebeln in den Milchkartons faulten, noch bevor sie keimen konnten, und ihr Geruch erinnerte an eine Bahnhofstoilette.
Jewgeni war zu der Frau gegangen, die nach billigem Parfum roch, hatte einige Monate bei ihr gelebt und war dann zurückgekehrt – bleich, abgemagert, in ausgeleierten Jogginghosen und fremden Altmänner-Filzpantinen anstelle seiner guten Hose und neuen Lederhalbschuhe.
»Ira, verzeih mir«, winselte er kläglich. »Ich höre auf mit dem Trinken, ich verdiene wieder Geld.«
Irina verzieh ihm nicht, aber sie jagte ihn auch nicht davon. Er trank natürlich weiter, Geld verdiente er nur wenig. So lebten sie.
Margarita tauchte ihren Arm in die gelbe Pilzbrühe und versuchte, das schleimige Ungeheuer zu fassen.
»Der Leutnant ergriff ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Ihre Hand war klein und kräftig, sie duftete nach Sonnenbräune. Selig und ängstlich stockte ihm das Herz bei dem Gedanken, wie kräftig und braungebrannt wohl ihr ganzer Körper unter diesem leichten Baumwollkleid war«, deklamierte Margarita mit halbgeschlossenen Augen.
Für die zweite Runde des von der Stschepkin-Theaterschule ausgeschriebenen Wettbewerbs hatte sie die Bunin-Erzählung »Der Hitzschlag« vorbereitet. An der Schauspielschule des Künstlertheaters war für sie alles schon nach dem ersten Durchlauf zu Ende gewesen. An der Filmhochschule hatte sie ihre Papiere gar nicht erst eingereicht – hier war die Konkurrenz gnadenlos, auf einen freien Platz kamen hundertsiebzig Bewerberinnen. Aber an der Stschepkin-Schule hatte sie die erste Runde überstanden, und durchaus erfolgreich.
Der feste, schwere Körper des Teepilzes entzog sich ihren Fingern, als sei er lebendig. Der Pilz haßte Margarita, und Margarita haßte ihn.
»Wenn du an die Schauspielschule gehst, brauchst du hier nicht mehr aufzutauchen!« schrie Irina aus dem Wohnzimmer und wedelte mit dem Besen über den abgetretenen Teppich. »Wenn du hier was zu fressen haben willst, dann geh ans Lebensmittelinstitut!«
Vierzig Minuten später stand Margarita zwischen vielen anderen Mädchen und Jungen vor einer hohen Eichentür im alten Gebäude der Stschepkin-Theaterschule. Hinter der Tür tagte die Aufnahmekommission. Die zweite Prüfungsrundewar in vollem Gange. Ausgewählt wurden die Studenten von Professor Konstantin Iwanowitsch Kalaschnikow.
Es war Ende Juni 1991.
***
Olga Guskowa war gewohnt, in den realen Schwierigkeiten des Lebens einen verborgenen mystischen Sinn zu suchen, hinter den drückenden Problemen des Alltags etwas Magisches, Schicksalhaftes zu sehen.
Den Jahreswechsel 1996/97 beging Olga allein in ihrer ärmlichen Küche. Draußen heulte der Wind, es herrschte dichtes Schneetreiben. Im Wohnzimmer dröhnte der Fernseher, und die Oma stöhnte und ächzte. Olga stand am Küchenfenster und blickte ihrem verschwommenen Spiegelbild in die
Weitere Kostenlose Bücher