Club Kalaschnikow
wie aufgezogen, führte die alte Frau ins Bad zum Händewaschen, brachte sie dann ins Bett und machte den Fernseher aus. In die Küche zurückgekehrt, lehnte sie sich wieder gegen die Fensterscheibe. Auf dem Hof war noch immer die fröhliche Silvesterparty im Gange. Das Horoskop für das kommende Jahr prophezeite OlgaGuskowa nichts als Unglück und Aufregungen, eine kleine, ganz persönliche Apokalypse.
Gleich nach Neujahr erkrankte Olga an einer schweren Grippe. Sie lag mit hohem Fieber, fast schon mit Halluzinationen, im Bett. Die Oma wurde vor Schreck für eine Zeitlang ganz klar im Kopf. Sie pflegte Olga, gab ihr Tee mit Honig zu trinken. Den Honig, den Himbeertee und die teuren ausländischen Medikamente brachte Margarita. Nach der Schule hatten die beiden sich nicht aus den Augen verloren. Margarita besuchte Olga weiterhin, zuerst in der alten Zweizimmerwohnung, dann in dem kleinen Einzimmerapartment.
»Sie kann ja, wenn sie nur will«, sagte Margarita lachend, als sie die energische, erschrockene Iwetta Tichonowna sah, »du solltest öfter mal krank werden, du hast sie ja völlig verzogen.«
Als es Olga schon besser ging, kam sie noch einmal, frisch, mit vom Frost geröteten Wangen.
»Du mußt an die Luft. Am Samstag fahren wir auf die Datscha zum Skilaufen.«
»Nein«, Olga schüttelte den Kopf, »ich habe keine Skier, ich kann auch nicht Ski laufen, und überhaupt will ich niemanden sehen.«
»Aber dort ist ja auch niemand. Skier werden sich schon finden, und das Skilaufen bringe ich dir bei. Du mußt mal raus aus dieser Umgebung, du brauchst Bewegung und frische Luft. Es tut einem ja weh, dich anzusehen.«
Am Samstag war strahlender Sonnenschein. Von der frischen eiskalten Luft wurde Olga schwindlig. Margarita gab ihr eine ganz leichte, mollig warme, schneeweiße Steppjacke, dicke flauschige Socken und Handschuhe aus Angorawolle. In dem riesigen warmen Haus fanden sich auch noch Skistiefel in der passenden Größe und nagelneue, gewachste Skier.
»Du mußt unbedingt einmal pro Woche Ski laufen«,sagte Margarita, als sie zu zweit durch den stillen Birkenwald glitten, »überhaupt brauchst du mehr Bewegung und Sport. Dann verschwinden alle deine fixen Ideen. Beim nächsten Mal nehme ich dich zum Tennis mit.«
»Ich kann nicht Tennis spielen.«
»Blödsinn. Weißt du noch, im fünften Schuljahr hast du beim Sport auf der Bank gesessen, man mußte dich gewaltsam zum Hochsprung zerren. Da hast du auch gesagt: Ich kann das nicht. Und dann bist du höher gesprungen als alle anderen. Ich verstehe sowieso nicht, wie du so leben kannst. Wie wäre es, wenn du dich mal verlieben würdest? Sich bei deinem Aussehen mit einer verrückten Oma lebendig zu begraben – ich verstehe dich nicht.«
Olga gab keine Antwort. Sie hatte den Kopf zurückgelegt und schaute zum klaren Winterhimmel empor, in dem langsam die weiße Spur eines Düsenjägers schmolz.
»Übrigens, heute ist nach dem alten Kalender Neujahr«, teilte Margarita vergnügt mit, »heute abend machen wir eine kleine Fete.«
»Wie, es kommt noch jemand?« fragte Olga erschrocken.
»Unwahrscheinlich. Mein Konstantin ist für eine Woche geschäftlich nach London gedüst. Und sonst gibt es niemanden.«
»Warum bist du nicht mitgeflogen?«
»Ich hab Aufnahmen beim Fernsehen. Überhaupt sollte man sich ab und zu mal trennen. Das tut dem Eheleben sehr gut. Merk dir das für die Zukunft.«
Als sie zurückkehrten, sahen sie vor dem Haus mehrere Autos stehen, ausschließlich teure ausländische Marken.
Schon seit einigen Jahren veranstaltete Gleb Kalaschnikow zum alten Neujahrsfest auf der Datscha seine Männerabende. Er holte sich die nötigen Leute zusammen, und dann erörterten sie bei Schaschlik und Bier alle möglichen geschäftlichen Fragen. Damen wurden zu diesen Arbeitstreffen nicht eingeladen, sie hätten nur abgelenkt.
»Was, zum Teufel«, hörte Olga eine wütende Männerstimme, als sie und Margarita an der Vortreppe gerade die Skier abmachten.
Die Tür sprang auf, es erschien ein untersetzter Mann in einem dicken weißen Pullover, dessen Ärmel er bis zum Ellbogen hochgeschoben hatte.
»Gleb, mein Herzblatt, sei mir gegrüßt«, zwitscherte Margarita, sprang die Stufen der Treppe hoch und küßte ihren erzürnten Stiefsohn auf die Wange, »alles Gute zum neuen Jahr, ich hatte ganz vergessen, daß du kommen wolltest. Ehrlich, es war mir total entfallen. Olga ist meine Zeugin. Darf ich vorstellen, meine Schulfreundin Olga Guskowa. Sie hat
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