Club Noir - 1
war noch jung. Das Leben spielte sich in einem anderen Teil des Clubs ab. Ärgerlich dachte Andrew daran, wie schnell die letzte Nacht für ihn vorbei war.
Jesse! Er spürte, wie sein Körper immer wieder nach ihr rief. Jede Pore seiner Haut sehnte sich nach ihrer Nähe und ihren Berührungen. Wie konnte das möglich sein? Wie konnte er so tief und leidenschaftlich empfinden? Es brachte ihn um den Verstand.
Weitaus unerträglicher war jedoch die Gewissheit, dass Jesse gesehen hatte, was im Club vor sich ging. Sie musste verwirrt sein. Panisch vielleicht. Er konnte sich ihre Reaktion nicht vorstellen. Aber er wusste, dass er sie so schnell wie möglich aufsuchen musste. Er wollte sie nicht verlieren! In seinem ganzen langen Vampir-Dasein hatte er sich nie so lebendig gefühlt wie in ihren Armen.
Wie ein Schatten verschmolz er mit der Nacht. Er schlich an den Häuserwänden entlang, entzog sich dem Blick jedes Sterblichen, der seinen Weg kreuzte. Erst, als er die Straße zu Jesses Hotel erreichte, drang er wieder in die Sichtbarkeit hervor. Er schritt über den Bürgersteig, der sich unendlich weit hinzuziehen schien.
Endlich an der Eingangspforte angekommen, nahm Andrew zum ersten Mal ein ungewohntes, merkwürdiges Gefühl in sich wahr. Es kribbelte in ihm – in der Magengegend, den Fingerspitzen und selbst im Hals, der sich plötzlich rau anfühlte. Ein erschreckendes Erlebnis für einen mächtigen Vampir wie ihn!
Marvin Rochelle beobachtete die große düstere Gestalt, die einer böswilligen Wolke gleich auf ihn zuwaberte. Er musste sich räuspern und sich um einen unbekümmerten Gesichtsausdruck bemühen. Den Grund für Andrews Besuch konnte er sich denken.
„Marvin.“ Freundlich lächelnd schmeichelte ihm der Vampir. Die Dunkelheit verflog aus seinen Zügen. Nichts an ihm wirkte anders als zuvor. Ganz im Gegenteil. Er machte sogar den Eindruck, ein wenig plaudern zu wollen.
„Eine schöne Nacht, nicht wahr? Wie geht es dir?“
„Hervorragend – wie immer.“ Marvin musterte ihn kritisch. Warum spielte er ihm etwas vor?
„Das freut mich.“ Andrew glich einer Marmorstatue, als er vor der Rezeption stand – ruhig und unverwüstlich. Sein wachsamer Blick glitt durch den Innenraum. „Es ist ruhig hier, wie mir scheint.“
Er sorgte sich um Jesse, wollte am liebsten gleich zu ihr eilen und sie in die Arme schließen. Doch seine eigenen Gefühle jagten ihm Angst ein. Wie gelähmt verharrte er. Zwar verzehrte sich alles in ihm nach dieser einen Frau, aber er weigerte sich, eine Schwäche zuzugeben. Zudem fand er keine logische Erklärung, die er ihr hätte präsentieren können. Wie sollte er sie für sich gewinnen, ohne sie gleichzeitig mit dem zu erschrecken, was er tatsächlich war?
„Nun“, begann Marvin langsam, „es ist tatsächlich etwas ruhiger geworden. Seit gestern Abend haben wir einen Gast weniger.“
Andrews innere Glut flammte lichterloh auf. Seine Augen blitzten gefährlich und jagten selbst Marvin, der ihn schon so lange kannte, Angst ein. Sie konnte nicht fort sein, redete Andrew sich ein. Es musste sich um einen anderen Gast handeln!
„Mademoiselle Brown hat uns vollkommen überstürzt verlassen. Sie hat einen sehr verstörten Eindruck auf mich gemacht.“ Marvin stützte nun seine Hände mit gespreizten Fingern auf die Rezeptionstheke. Er beugte sich vor, starrte den Vampir an. „Du hast ihr doch nichts angetan?“
Andrews Wut kochte bei dieser Anklage nur noch mehr auf. Niemals hätte er Jesse etwas antun können! Eher hätte er die gesamte restliche Menschheit vernichtet. Diese Frau bedeutete ihm alles. Sie war wichtiger als jeder andere.
„Wie kannst du so etwas von mir denken?“
Marvin zog sich wieder zurück. Er schien nicht weniger beruhigt, doch erhob er auch keine weitere Anschuldigung.
„Sie ist gleich zum Flughafen“, erwähnte er wie beiläufig. „Mittlerweile wird sie längst zurück in London sein. Madame Demier, aus der Galerie, hat sich nach dem Mädchen erkundigt. Sie war sehr aufgelöst. Glaubte, dass Mademoiselle Brown ernsthaft erkrankt sei. Aber ihre Besorgnis ist schnell verflogen, als ich ihr von der Abreise des Mädchens berichtet habe.“
Andrew knirschte mit den Zähnen. Ihm dämmerte nur allzu deutlich, dass noch eine Weile vergehen würde, ehe er Jesse wieder in die Arme schließen konnte.
„Ich danke dir, Marvin.“ Er schenkte dem Mann ein ruhiges Lächeln. „Mach dir keine Sorgen. Ich werde das alles wieder in Ordnung
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