Club Noir - 1
Seine Opfer mussten in den letzten Tagen zahlreich gewesen sein. Andrew hingegen litt noch immer an einer leichten Schwäche, hervorgerufen durch die ausgiebigen Begegnungen mit Jesse und dem Minimum an Blut, das er getrunken hatte. Er raste rückwärts auf die nächste Wand zu und schleuderte Louis mit voller Wucht dagegen. Der Boden unter seinen Füßen erzitterte. Wieder und wieder schlug er nach seinem Feind, bekam schließlich eine Hand von ihm zu fassen und biss hinein.
Endlich ließ Louis locker. Federleicht hüpfte er zur Seite, entwand sich Andrews Griff. Er leckte das Blut von seinen Lippen und von seiner Hand. Befriedigt stöhnte er auf. Wie unglaublich mächtig er sich doch fühlte!
Andrew spürte, wie seine Kräfte schwanden. Sein Blick verklärte sich. Ein Zustand, den er seit Ewigkeiten nicht mehr kannte. Ihm entwich sämtliche Kontrolle. Sein letzter Gedanke galt Jesse, ehe er sich der Dunkelheit ergab.
Jesses Lungen fühlten sich kalt und kraftlos an. Sämtliche Lebensenergie schien ihr abhanden gekommen zu sein. Sie hatte ihren Atem auf der Strecke vom Club in das Hotel verloren. Ihr wurde schwindlig, als sie durch die Pforte in den Eingangsbereich trat. Die warme Luft darin drückte ihren Brustkorb zusammen. Sie musste sich kurz an eine Wand lehnen und verschnaufen.
Ein besorgter Monsieur Rochelle stürmte sogleich auf sie zu und wollte sie auffangen. Doch Jesse wich seiner Berührung aus. Argwohn regte sich in ihr. Wie sehr konnte sie diesem Mann eigentlich trauen? Er war ein alter Bekannter von Andrew. Er wusste also über ihn Bescheid. Trotzdem hatte er sie ohne jegliche Warnung in diese Situation schlittern lassen.
„Mademoiselle Brown. Sie sehen aus, als wären Sie einem Geist begegnet.“ Erneut wollte er sich ihr anbieten. „Lassen Sie mich Ihnen helfen. Sie sind so blass.“
„Nein.“ Jesses Ablehnung erklang viel heftiger, als sie es beabsichtigt hatte. Ausgerechnet von ihm würde sie keine Hilfe annehmen. „Es geht schon. Ich musste nur kurz durchatmen.“ Sie drängte sich an ihm vorbei. Als sie in den Fahrstuhl stieg, wirbelte sie hektisch herum, beobachtete ihre Umgebung, aus Angst, jemand könnte ihr gefolgt sein. Doch niemand war dort, abgesehen von dem freundlichen Monsieur Rochelle.
Trotzdem beeilte sich Jesse in ihr Zimmer zu gelangen. Ihr Puls wollte sich noch immer nicht beruhigen. Er pochte laut in ihren Ohren. Alles um sie herum fühlte sich unwirklich an. Sie konnte nicht verstehen, in was sie da hineingeraten war. Welche Art von Mensch musste Andrew sein, dass er einen Club wie diesen leitete? Und was genau taten die Gäste dort? Sie hatte so viele Fragen, so vieles, was sie nicht verarbeiten konnte. Doch die nackte Angst trieb sie dazu, gar nicht auf die Idee zu kommen, nach Antworten zu suchen. Vermutlich hatte sie die ganze Zeit über in Lebensgefahr geschwebt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie konnte unmöglich noch einen Tag länger in Brüssel verbringen. Ihr Arbeitgeber würde sicher Verständnis zeigen.
Sie zerrte ihren Koffer hervor und öffnete ihn. Achtlos warf sie ihre Kleidung und sämtliche weitere Utensilien hinein. Das alles geschah innerhalb von Minuten. Sie wusste nicht, ob sie irgendetwas zurückließ oder an alles gedacht hatte. Es war ihr nicht wichtig. Einzig ihr Überlebenswille zählte. Und dieser trieb sie hinaus in ein Taxi, das sie zum Flughafen brachte.
Erwachen
Ein Dröhnen erfüllte den Raum. Der widerwärtige Gestank des Bösen schlug sich wie feuchter Nebel nieder. Andrew tat einen langen, aufbegehrenden Atemzug. Schwach regte er seine Glieder. Er blinzelte, wartete, bis sein Blick klar wurde. Dann hievte er sich, mit den Händen abstützend, in eine gekrümmte Sitzposition. Ein Hämmern gesellte sich zu den durchdringenden Geräuschen um ihn herum. Es dauerte einen Moment, ehe er begriff, dass die Laute nur in ihm selbst existierten. Seine Kraftlosigkeit und sein Durst trieben ihn an den Rand des Wahnsinns. Er brauchte dringend Nahrung!
Umständlich stand er auf. Offensichtlich hatte Louis ihn achtlos allein zurückgelassen. Aber aus welchem Grund? Er hätte ihn ebenso gut töten können. Der Gedanke daran machte Andrew rasend. Wut stieg in ihm auf und verlieh ihm neue Stärke. Er würde sich rächen – und er würde nicht so gnadenvoll sein wie Louis.
Andrew erreichte seinen Schreibtisch und stützte sich an der Kante ab. Er fuhr sich durch die Haare, betrachtete seine Kleidung. Sein Anblick mochte etwas mitgenommen
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