Coaching to go
völlig richtig. Würde man sich an jemanden verkaufen, wäre man ja nicht mehr da. Nun kann man nicht mal eben wie Mehl und Zucker nachbestellt werden! Daher empfiehlt es sich, sich nicht zu verkaufen. Oder?
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, machen wir jetzt einen kleinen Exkurs in ein Autohaus. Gläserne Fronten von außen, glänzende Autos im Innenraum. Haben Sie das Bild? Nun stellen Sie sich bitte einen Autoverkäufer vor. Wie sieht er aus? Was tut er? Was sagt er? Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf! Vielleicht spüren Sie jetzt eine Ambivalenz: Irgendwie finden Sie den sympathischen Mann auch unsympathisch, denn er möchte Ihnen etwas verkaufen. Das ist sein Job. Er muss das tun, damit verdient er sein Geld. Sein Job ist getan, wenn Sie das Auto gekauft haben. Dann bekommt er vielleicht sogar eine Provision, was ihn zusätzlich motiviert. Es könnte gut sein, denken Sie vielleicht, dass er etwas schöner redet, als es ist, damit Sie es kaufen. Vielleicht hat sein Chef ihm am Morgen gesagt: »Verkauf mal den da, der steht da schon so lange.« Sie sind vielleicht hin- und hergerissen: Einerseits vertrauen Sie dem Fachwissen des Verkäufers, andererseits gibt es da auch ein gewisses Misstrauen: Das sagt er doch nur, weil ich kaufen soll! Der will mich doch nur über den Tisch ziehen!
Nun möchte ich der Verkäuferzunft damit keinesfalls unterstellen, dass sie um jeden Preis verkauft, um zu verkaufen. Im Gegenteil! Ich schreibe all das, um Ihnen ein Bild davon zu geben, wie negativ oder zumindest ambivalent »verkaufen« in unserer Gesellschaft besetzt ist.
Verlassen wir das Autohaus und kehren in meine Praxis zurück. Da sitzt Ursula und hat gerade mit einer Mischung aus Wut, Scham und Verzweiflung gesagt: »Ich kann mich nicht verkaufen!«
Dieses negative Bild vom Verkaufen schwingt unbewusst oft mit, wenn jemand von »sich verkaufen« spricht. Ob dies so ist, lässt sich am einfachsten überprüfen, indem man Ursula fragt oder Sie sich selbst fragen:
Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie »verkaufen« hören?
Welche anderen Worte, Ausdrucksweisen kennen Sie für »verkaufen«?
Wie viele positive und negative Umschreibungen haben Sie gefunden? Was überwiegt: das positive Bild oder das negative?
Bei Ursula überwog das Negative.
Nun möchte Ursula verständlicherweise keinesfalls etwas tun, was sie im Grunde ihres Herzens ablehnt oder wozu sie ambivalente Gefühle und Gedanken hegt. Mit anderen Worten: Sie möchte sich gar nicht verkaufen können!
Zwei Seelen sind somit, ach, in Ursulas Brust:
1.Ich muss mich verkaufen, damit ich den Job bekomme.
2. Ich will mich nicht verkaufen!!!!!!!!!!!!!!!
Ursulas Brust löst das elegant mit: Ich kann nicht!
Natürlich nicht bewusst. Ursulas Psyche hat sich damit quasi einen Notausgang aus der Ambivalenz geschaffen: Wenn sie es nicht kann, muss sie es nicht tun. Aber sie meint, es können zu müssen, denn da gibt es diese Bewerbung …
Für Ursula war es hilfreich, »verkaufen« eine neutrale Bedeutung zu geben:
verkaufen = anbieten, informieren, beraten
So kamen wir darauf, dass verkaufen im Grunde nichts Schlechtes ist:
Ich biete Ihnen etwas, was Sie (vielleicht) brauchen.
Ich biete Ihnen Wissen, das Ihre Firma gut gebrauchen kann.
Ich biete Ihnen etwas, was Ihre Firma bereichert.
Bei mir bekommen Sie etwas, was Sie woanders (vielleicht) nicht bekommen.
Ich möchte Sie von etwas überzeugen, wovon ich überzeugt bin.
Mit meiner Bewerbung berate ich Sie, ich informiere Sie über mich, damit Sie sich ein Bild von mir machen können.
Ursula war nun deutlich bereiter, sich zu »verkaufen«. Es gab allerdings noch einen Stolperstein: die Angst vor der Ablehnung.
Diese Angst ist verständlich – schließlich zeigen wir uns dem anderen – wer weiß, ob ihm gefällt, was er da sieht?
Natürlich möchten wir unbedingt, dass der andere uns gut findet – wir möchten den Job schließlich haben! Ich erlebe immer wieder, dass Klienten aus Angst vor Ablehnung ihre Lebensläufe »kreativ umschreiben«, ihre Informationen sozusagen ein ganz kleines bisschen manipulieren, um sich anzupassen: an die Firma, an die Anforderungen.
Da fällt mir dann immer ein Text von Kurt Tucholsky ein:
Im Département du Gard (…) da saß in einem Postburo ein älteres Fräulein als Beamtin, die hatte eine böse Angewohnheit: sie machte ein bisschen die Briefe auf und las sie. 7
Ganz offenbar hat die Postbeamtin die Briefe nicht nur »ein bisschen« geöffnet,
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