Cobra
ihm nur ein einziges Mal in den Sinn, und hinterher bedauerte er noch eine Stunde lang, dass seine moralische Erziehung ihm verbot, Viljo einfach in den Rücken zu schießen.
Die Einsätze gingen weiter, ohne auf Jonnys innere Qual Rücksicht zu nehmen. Gemeinsam brachen sie zu sechst in ein befestigtes, zehnstöckiges Gebäude ein, drangen in eine zwanzig Mann starke Kaserne ein und zerstörten sie, entschärften die Sprengladungen rings um einen unterirdischen Bunker, sprengten dessen Eingang und retteten erfolgreich vier Fernlenkroboter, die Zivilgefangene darstellten, aus einem Gefängnis der Trofts. Sie kampierten über Nacht in einem von Trofts kontrollierten, verwüsteten Gebiet, übernahmen schnell und präzise genug die Eigenschaften einer Gruppe exzentrischer Zivilisten, um eine Stunde später nicht als Fremde erkannt zu werden, und führten eine Gruppe Widerstandsroboter bei einer einfachen Mission an, die trotz der häufigen, gefährlichen Fehler, die die Operateure der Roboter diesen zugestanden, erfolgreich war.
Das alles machten sie, und sie machten es gut, und sie überstanden es lebend. Und als der Transporter sie nach Freyr zurückflog, entschied Jonny, dass sich das Risiko gelohnt hatte. Welche Disziplinarmaßnahmen Mendro auch verhängen würde, jetzt wusste er, dass er das hatte, was man brauchte, um ein Cobra zu sein. Ganz gleich, ob man ihm je erlauben würde, als Cobra seinen Dienst zu tun oder nicht, diese innere Gewissheit konnten sie ihm nicht nehmen.
Als sie in Freyr ankamen und die MP bereits wartete, war er fast froh. Wie auch immer Mendro entschieden hatte, offensichtlich würde es schnell vorüber sein.
Und so war es auch. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass Mendro Publikum dazu einladen würde.
»C-3 Bai berichtet, dass Sie sich überaus gut geschlagen haben«, meinte Mendro und blickte in die Runde aus sechs verdreckten Rekruten, die in einem Halbkreis vor seinem Schreibtisch saß. »In Anbetracht der Tatsache, dass Sie alle noch leben und vergleichsweise unversehrt sind, neige ich dazu, ihm zuzustimmen. Haben Sie zu den Einsätzen noch Fragen?«
»Ja, Sir«, sagte Deutsch laut vernehmbar nach einem Augenblick nachdenklichen Schweigens. »Bei der Führung des Widerstandstrupps hatten wir ein paar größere Probleme – es war äußerst schwierig, die Fehler zu kompensieren, die diese Leute gemacht haben. War diese Simulation realistisch?«
Mendro nickte. »Leider ja. Zivilisten werden immer wieder Dinge tun, die Ihnen wie unfassbar dumme Fehler vorkommen werden. Sie können praktisch nichts weiter tun, als die Schäden so gering wie möglich zu halten und Geduld zu bewahren. Noch Anmerkungen dazu? Nein? Dann sollten wir wohl damit weitermachen, weswegen ich Sie herbeordert habe: die Anklage, die demnächst gegen Rekrut Moreau erhoben wird.«
Angesichts des plötzlichen Themawechsels ging ein überraschtes Raunen durch die Gruppe. »Anklage, Sir?«, fragte Deutsch vorsichtig.
»Ja. Er wird beschuldigt, während Ihres nicht genehmigten Ausflugs in die Stadt vor vier Tagen einen Zivilisten tätlich angegriffen zu haben.« Mendro gab ihnen eine knappe Zusammenfassung von P’alits Geschichte. »Moreau bestreitet die Tat«, schloss er. »Irgendeine Anmerkung dazu?«
»Ich kann es nicht glauben, Sir«, sagte Halloran tonlos. »Ich will diesen Menschen keinen Lügner schimpfen, aber ich denke, er muss den Namen falsch abgelesen haben.«
»Oder er hat Jonny an jenem Abend gesehen, wurde später in eine Prügelei verwickelt und versucht jetzt, der Armee die Arztkosten anzuhängen«, schlug Noffke vor.
»Kann sein.« Mendro nickte. »Aber nehmen wir im Augenblick einmal an, der Vorwurf stimmt. Halten Sie es für gerechtfertigt, Moreau in diesem Fall aus der Cobra-Einheit zu entlassen?«
Beklommenes Schweigen machte sich breit. Jonny beobachtete das Spiel der Gefühle in ihren Gesichtern, doch obschon er eindeutig ihre Sympathien besaß, war ebenfalls klar, zu welcher Meinung sie neigten. Er konnte es ihnen eigentlich nicht verdenken, an ihrer Stelle wüsste er, welche Antwort er wählen würde.
Deutsch war es, der schließlich aussprach, was alle dachten. »Ich fürchte, Sir, Ihnen bleibt keine Wahl. Der Missbrauch unserer Ausrüstung würde die Zivilbevölkerung gegen uns aufbringen, wenn auch vielleicht nur unbewusst. Als Bürger von Adirondack möchte ich hinzufügen, dass wir zurzeit bereits mehr Gegner haben, als wir gebrauchen können.«
Mendro nickte.
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