Cobra
Begleiter gefunden haben.«
»Von so weit her kann sie unmöglich gekommen sein«, wandte Daulo ein. »Absehen davon haben wir die gesamte Strecke längs der Straße abgesucht.«
»Ich weiß.« Kruin nickte. »Und ich vertraue auf dein Urteil. Aber ich dachte, in einem Fall wie diesem wäre eine zusätzliche Bestätigung keine schlechte Idee, also habe ich heute angefragt.
Tatsächlich hat jemand Lärm wie von einem schweren Unfall gehört … aber nicht in der Nähe der Straße oder der Siedlung. Es war oben im Norden, mindestens mehrere Kilometer entfernt. Mitten im Wald.«
Daulo fühlte, wie sein Mund trocken wurde. Mehrere Kilometer genau nördlich von Tabris, dann hätte der Unfall irgendwo zwischen fünf und zehn Kilometer entfernt von jener Stelle geschehen müssen, wo Perto Jasmine auf der Straße gefunden hatte. Die Vorstellung, sie könnte es von Tabris aus geschafft haben – über volle zwanzig Kilometer Straße mitten durch den Wald -, war schon grotesk, aber durch die Wildnis … »Einen solchen Gewaltmarsch kann sie unmöglich überlebt haben«, sagte er tonlos. »Gleichgültig, mit vielen Begleitern sie aufgebrochen ist, das kann sie nicht geschafft haben.«
»Ich fürchte, das sehe ich ebenso.« Kruin nickte widerstrebend. »Und erst recht nicht angesichts der Unruhe, die die Wanderung der Bololins vor ein paar Tagen ausgelöst haben dürfte. Aber selbst wenn wir Gott ein Wunder zugestehen, um sie dort lebend herauszubringen, dann stellt sich eine noch schwieriger zu beantwortende Frage: nämlich, wie man einen Wagen so tief in den Wald hineinmanövriert.«
Daulo zog die Unterlippe ein. Jetzt war die Sache also klar. »Demnach war es kein Wagen, mit dem sie diesen Unfall hatte. Es war ein Flugzeug.«
»Allmählich sieht es ganz danach aus«, gab Kruin ihm mit schwerer Stimme Recht.
Was bedeutete, dass sie gelogen hatte. Schlicht und einfach – Irrtum ausgeschlossen. Wut und Scham stiegen in Daulos Bauch hoch, rangen um die Vorherrschaft. Die Familie Sammon hatte ihr das Leben gerettet und sie aufgenommen, und sie hatte sich für die Gastfreundschaft mit einer Lüge revanchiert … und indem sie ihn zum Narren gemacht hatte.
Kruin riss ihn aus seiner Aufgebrachtheit. »Man kann sich viele Gründe denken, weshalb sie uns in diesem Punkt angelogen hat«, sagte er bedächtig. »Es muss nicht unbedingt etwas mit
dir oder mit unserer Familie zu tun haben. Meine Frage an dich, mein Sohn, lautet also: Ist sie uns, deiner Einschätzung nach, feindlich gesonnen?«
»Auf meine Einschätzung würde ich in dieser Hinsicht nicht allzu viel Wert legen«, erwiderte Daulo mit einem Anflug von Bitterkeit.
»Stellst du mein Urteilsvermögen infrage, weil ich mich nach deinem erkundige?«, fragte Kruin kalt. »Beantworte meine Frage, Daulo Sammon.«
Daulo schluckte trocken. »Verzeih mir, mein Vater – ich wollte nicht unverschämt sein. Es war nur so, dass …«
»Keine Ausflüchte, Daulo Sammon. Ich wünsche eine Antwort auf meine Frage.«
»Ja, mein Vater.« Daulo atmete tief durch und versuchte verzweifelt, sich alles zurechtzulegen. Fakten, Gefühle, Eindrücke … »Nein«, sagte er schließlich. »Nein, ich glaube nicht, dass sie mit der Absicht gekommen ist, uns Schaden zuzufügen. Ich weiß nicht, wieso ich das denke, aber so ist es nun einmal.«
»Es ist, wie ich gesagt habe«, sagte Kruin etwas freundlicher. »Die Familie Sammon überlebt, weil wir die Fähigkeit besitzen, die Absichten anderer Menschen zu erkennen. Seit deiner Kindheit habe ich versucht, dieses Talent bei dir auszubilden. Die Zukunft wird zeigen, ob ich dabei erfolgreich war.« Er erhob sich mit einer eleganten Bewegung. »Beim Essen heute Abend gab Jasmine Alventin bekannt, sie habe sich ausreichend von ihren Verletzungen erholt, um nach Hause zurückzukehren. Sie wird morgen früh aufbrechen.«
Daulo starrte ihn an. »Sie bricht morgen früh auf? Warum dann die ganze Aufregung darüber, ob wir ihr trauen können oder nicht?«
Kruin blickte auf ihn herab. »Die Aufregung«, sagte er kühl, »hatte mit der Frage zu tun, ob es klug wäre, sie aus unserem Blickfeld und unserem Einflussbereich zu entlassen.«
Daulo biss die Zähne aufeinander. »Ja, natürlich. Entschuldige.«
Die Andeutung eines Lächelns huschte über Kruins Lippen. »Ich habe ihr gesagt, wir würden sie bis nach Azras fahren. Wenn du möchtest, kannst du sie bis dahin begleiten.«
»Danke, mein Vater«, erwiderte Daulo nüchtern. »Dann hätte ich
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