Cobra
Mine, sondern auch den Wasservorrat der Siedlung kontrollieren. Ihre Familie verfügt in der Tat über große Macht … und solche Macht könnte leicht Neider auf den Plan rufen.«
Sie zählte zehn Herzschläge, bevor er wieder etwas sagte. »Wieso interessieren Sie sich so für die Familie Sammon?«, fragte er. »Oder überhaupt für Milika?«
Eine berechtigte Frage. Sie hatte bereits alles in Erfahrung gebracht, was sie über die Kultur der qasamanischen Siedlungen wissen musste, und würde in jedem Fall in ein oder zwei Tagen aufbrechen, um die Städte zu erkunden. Die politischen Zwistigkeiten einer kleinen Siedlung, die irgendwo weit draußen im Wald vergraben lag, standen auf ihrer Dringlichkeitsliste eigentlich ganz unten. Und doch … »Ich weiß es nicht«, gab sie ehrlich zu. »Vielleicht weil ich Ihnen dankbar bin, vielleicht, weil ich spüre, wie mich langsam Freundschaft mit Ihrer Familie verbindet. Aus welchem Grund auch immer, Sie sind mir nicht gleichgültig, und wenn ich Ihnen irgendwie helfen könnte, würde ich das gern tun.«
Sie wusste nicht Recht, welche Reaktion sie erwartet hatte – Anerkennung, Dankbarkeit, vielleicht sogar Argwohn. Aber dieses spöttische Schnauben überraschte sie. » Sie wollen uns helfen?«, gab er verächtlich zurück. »Eine Frau ohne Familie? Wie wollen Sie das denn anstellen?«
Jin spürte, wie ihre Wangen brannten. Zähl bis zehn, Mädchen, befahl sie sich und biss sich dabei fest auf die Zunge. »Entschuldigung«, brachte sie demütig zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »So hab ich das nicht gemeint. Ich dachte bloß – na ja, meine Familie gibt es zwar nicht mehr, aber ich habe durchaus Freunde.«
»In der Stadt ?«, fragte er spitz.
»Nun … ja.«
»Aha.« Daulo seufzte. »Vergessen wir es einfach, Jasmine Alventin. Ich weiß Ihre Geste zu schätzen, aber wir wissen doch beide, dass es mehr nicht ist.«
»Ich … vermutlich, ja.«
»Ach, kommen Sie, ich zeige Ihnen das Äußere Grün.«
Sie biss die Zähne zusammen, senkte den Blick, wie es sich für eine gute kleine qasamanische Frau geziemte, und folgte Daulo über die Brücke.
57
Im Hof vor Daulos Suite war es dunkel, die Reste seines verspäteten Abendessens hatte man abgeräumt – und mit der Stille und dem Alleinsein kamen die Gedanken an Jasmine Alventin.
Er wollte nicht an sie denken. Genaugenommen hatte er sich große Mühe gegeben, jeden Gedanken an sie zu vermeiden. Er hatte ihren Spaziergang vorzeitig beendet, indem er Besorgnis über ihren geschwächten Zustand vorgetäuscht hatte, und war auf direktem Weg zurück in die Mine gegangen, um die Arbeiten an der Verstrebung zu überwachen. Danach war er zurück zum Haus gekommen und hatte ein paar Stunden lang Schreibarbeiten erledigt, die die Mine im selben Umfang zu produzieren schien wie ihren Abraum. Dann hatte er sein Essen verschoben, um ihr nicht beim gemeinschaftlichen Familienmahl gegenübersitzen zu müssen, und jetzt hoffte er, sein voller Magen werde ihm zusammen mit Erschöpfung von der Hektik des Tages den Schlaf bringen.
Doch das hatte nicht funktioniert. Sogar noch als sein Körper betäubt vom Essen und von Müdigkeit in die Kissen sank, raste sein Verstand wie ein verrückt gewordenes Bololin. Allen voran natürlich nur ein einziger Gedanke.
Jasmine Alventin.
Als kleiner Junge war die Fabel vom Gordischen Knoten immer eine seiner Lieblingsgeschichten gewesen. Als junger Mann hatte es ihm größtes Vergnügen bereitet, Probleme zu lösen, die wie besagter Knoten andere Männer zur Verzweiflung trieben. Jasmine Alventin war wahrhaftig ein solches Problem – ein Gordischer Knoten in Menschengestalt.
Leider handelte es sich um einen Knoten, der sich widersetzte, von ihm entwirrt zu werden.
Mit einem Seufzer wälzte er sich von seinen Polstern und stand auf. Fast einen ganzen Tag lang hatte er es vor sich hergeschoben
und in seinem Stolz darauf gehofft, seine Gefühle ohne Hilfe in den Griff zu bekommen. Nur wollte ihm das nicht gelingen … und wenn auch nur die geringe Möglichkeit bestand, dass Jasmine Alventin eine Gefahr für die Sammon-Familie darstellte, dann war es seine Pflicht, alles Erforderliche zu tun, um sein Haus zu beschützen.
Sein privater Drogenschrank war als Teil seines Toilettentischs in die Wand eingebaut: eine verstärkte Schublade mit einem Schloss, stabil genug, um selbst das hartnäckigste Kind zu entmutigen. Es lag kaum ein Jahr zurück, dass man ihm diesen Bereich der
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