Cobra
im Himmel, dachte sie benommen. Die Yithras hatten also doch keine Rakete gekauft oder gestohlen. Sie hatten etwas gefunden, das viel schlimmer war: ein Abschiedsgeschenk von der Southern Cross.
Ein Abschiedsgeschenk für sie.
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Sekundenlang schien ihr Verstand unkontrolliert über Eis zu schlittern. Die Existenz der Kapsel war schlimm genug, noch schlimmer war, dass sie sich in Händen von Qasamanern befand. Sobald die Yithra-Familie dahinterkam, um was es sich handelte, und sie den Behörden übergab …
Ihr blieben vielleicht drei Minuten, sich zu überlegen, wie sich das verhindern ließ. Sie biss die Zähne aufeinander, schob ihre Finger unter den Rand der Öffnungsluke und stemmte sie auf.
Der Inhalt war keine Überraschung: eingeschweißte Notrationen, Decken aus leichtem Stoff, Medikamentenpakete, ein Rucksack und ein Wasserbehälter – alles Dinge, die jemand brauchen konnte, der auf feindlichem Terrain gestrandet war. Und alles eindeutig in Anglisch beschriftet.
Somit würde ihr auch das Unkenntlichmachen der Aufschrift auf der Außenhülle nichts einbringen. Es sei denn, es gelang ihr, auch den Inhalt der Kapsel vollständig zu vernichten …
Schweiß rann ihr übers Gesicht. Sie suchte mit den Händen zwischen den Paketen herum und hoffte verzweifelt auf eine Idee, was sie tun sollte. Ihre Laser waren nicht so konstruiert, dass sie den Inhalt der Kapsel hätten in Brand setzen können, wenn man ihr allerdings ein wenig Benzin für einen Kocher geschickt hatte …
Ihre Finger stießen auf ein zusammengefaltetes Stück Papier. Sie runzelte die Stirn, kramte es hervor und faltete es auseinander. Die Nachricht war kurz und knapp:
Können nicht zu Ihnen runter. Halten Sie durch, wir sind so bald wie möglich mit Verstärkung zurück. Wir erwarten Ihr Signal bei Sonnenaufgang, Mittag, Sonnenuntergang und
Mitternacht – wenn Sie nicht senden können, kommen wir runter und suchen Sie.
Nur Mut!
Captain Rivero Koja
Jin biss sich auf die Unterlippe. … kommen wir runter und holen Sie. Vor ihrem inneren Auge sah sie einen kompletten Cobra-Stoßtrupp über Milika herfallen … Mit einem leisen Fluch suchte sie mit frischer Kraft zwischen den Paketen weiter, jetzt nach dem Sender, den man ihr laut Kojas Notiz zu den Vorräten gepackt hatte. Aber entweder lag er zu tief unter den Lebensmitteln vergraben …
Oder die Arbeiter der Yithras, die die Kapsel gefunden und geöffnet hatten, hatten ihn bereits herausgenommen.
Verdammt. Er war genau hier, nur ein paar Meter entfernt im Führerhaus des Lastwagens … und hätte sich ebenso gut auf einer Umlaufbahn befinden können. Eine ungestüme Sekunde lang sah sie sich bereits mit ihrem Antipanzerlaser zur Fahrerkabine durchbrechen, die Insassen mit ihrer Schallwaffe betäuben und den Sender zurückholen …
Um anschließend im Wald unterzutauchen. Während die Familie Sammon wegen Hochverrats ins Kittchen wanderte.
Verärgert schüttelte sie den Gedanken aus ihrem Kopf. Der Sender war verschwunden und Schluss. Sie stopfte Kojas Nachricht zusammengeknüllt in ihre Tasche, machte die Luke wieder zu, ging zur Ladekante und musste sich festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, als der Laster scharf nach rechts abbog. Zwischen den Türen erkannte sie die Kleine Ringstraße.
Also hatte der Lastwagen die Speichenstraße verlassen und würde jetzt jeden Augenblick das Tor des Anwesens der Yithras erreichen. Jin fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, linste durch den Spalt und versuchte irgendetwas zu entdecken, das sie für ein Ablenkungsmanöver benutzen konnte. Nichts! Dort draußen waren ebenso viele Fußgänger unterwegs wie woanders auch, und war sie erst einmal aus dem Lastwagen raus, mangelte
es nicht an Deckung, um unterzutauchen. Doch wie sollte sie den Absprung selbst verbergen. Sie biss die Zähne aufeinander und machte sich bereit: Als der Lastwagen plötzlich langsamer wurde, schwang sie sich nach hinten hinaus und ließ sich auf das Pflaster fallen. Nach ein paar abbremsenden Schritten kam sie zum Stehen. Sie machte rasch kehrt, ging die Straße hinunter und entfernte sich vom Haus der Yithras.
Nichts geschah. Hinter sich hörte sie, wie der Lastwagen kurz hielt und dann erneut anfuhr, um hinter dem Tor zu verschwinden, das sich mit einem Summen schloss. Sie unterdrückte ein Zittern in den Händen und machte sich auf den Weg.
Nach einigen Irrwegen durch die Stadt erreichte sie schließlich das Haus der Sammons.
Kruin Sammon
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