Cobra
»Weil dieser Brief alles verändert. Es wird keine sechsmonatige Debatte darüber geben, ob man eine weitere Mission herschickt oder nicht. Koja wird brennende Spuren im All hinterlassen haben und so schnell wie
möglich nach Aventine zurückgekehrt sein, und man wird einen Bergungstrupp losschicken, sobald man ihn zusammengestellt hat.«
Kruin presste die Lippen aufeinander. »Der wann eintrifft?«
»Genau weiß ich das nicht. Ich schätze in spätestens einer Woche.«
Daulo pfiff zwischen seinen Zähnen hindurch. »In einer Woche ?«
»Das ist schlecht«, stimmte Kruin ihm gefasst zu. »Aber so schlecht auch nicht. Jetzt, wo eine neue Lieferung Metalle auf ihrem Weg nach Mangus ist, dürften sie bald zusätzliche Arbeiter anfordern.«
»Wie bald?«
»Schätzungsweise innerhalb Ihrer sechs Tage«, meinte Kruin. »Ich werde den Bürgermeister noch heute Nachmittag benachrichtigen und fragen, ob ein Mitglied meines Hauses in einem der Trupps untergebracht werden kann.«
»Frag ihn bitte, ob er auch zwei unterbringen kann«, sagte Daulo ruhig.
Kruin zog die Augenbrauen hoch und sah seinen Sohn an. »Ein nobles Angebot, mein Sohn, aber nicht sehr gut durchdacht. Aus welchem Grund – von Neugier einmal abgesehen – sollte ich dir erlauben, Jasmine Moreau zu begleiten?«
»Aus dem Grund, dass sie nach wie vor sehr wenig über Qasama weiß«, sagte Daulo. »Sie könnte sich auf tausend verschiedene Arten als Fremde verraten. Oder noch schlimmer, sie könnte etwas Wichtiges nicht verstehen oder gar übersehen.«
Kruin blinzelte Jin an. »Was meinen Sie dazu?«
»Ich komme schon zurecht«, entgegnete Jin steif. »Danke für Ihr Angebot, Daulo, aber ich brauche keine Begleitung.«
»Sind seine Argumente unbegründet?«, hakte Kruin nach.
»Nicht unbedingt«, gab sie zu. »Aber die Risiken überwiegen die Vorteile. Ihre Familie ist hier gut und in Azras wenigstens ein wenig bekannt. Also besteht durchaus die Möglichkeit, dass er von jemandem aus dem Arbeitstrupp erkannt wird, vielleicht sogar von Radig Nardin selbst. Ich schätze die Chance mindestens
ebenso groß wie die, dass man mich durch irgendeinen Zufall entdeckt.« Sie zögerte. Nein, sag es besser nicht.
Aber Kruin durchschaute ihr Zögern. »Und …?«, drängte er.
Jin biss die Zähne zusammen. »Und wenn es tatsächlich Ärger gibt … dann habe ich allein eine sehr viel bessere Chance herauszukommen, als wenn Daulo bei mir ist.«
Einen Augenblick später wünschte sie dringlichst, sie hätte den Mund gehalten. Daulo richtete sich steif auf, seine Miene verfinsterte sich. »Ich brauche keinen Schutz von einer Frau«, stieß er hervor.
Damit konnte sie alle weiteren Argumente vergessen. An der richtigen Stelle war Logik gut und schön, aber wenn es um verletzte Männlichkeit ging, war sie praktisch überflüssig. »In diesem Fall«, seufzte Jin, »wäre es mir eine Ehre, auf Ihren Schutz und Ihre Gesellschaft zählen zu können.«
Erst viel später dämmerte ihr, dass sie sich vielleicht desselben irrationalen Denkens schuldig gemacht hatte … tatsächlich hatte sie etwas für Qasama so Grundlegendes wie das männliche Ego übersehen, und demnach wusste sie möglicherweise wirklich zu wenig über diesen Planeten, um Mangus allein in Angriff zu nehmen.
Der Gedanke war nicht besonders ermutigend.
65
»Ich habe die uns vorliegenden Aufzeichnungen heute Nachmittag eingesehen«, sagte Daulo, »und es sieht so aus, als sei die Einschätzung meines Vaters ein wenig pessimistisch gewesen. Es dürfte nur zwei bis drei Tage dauern, bis Mangus Azras bittet, einen Trupp Arbeiter zusammenzustellen.«
Jin nickte stumm, während sie durch den dunklen Garten auf das stete Plätschern des Brunnens zugingen. Seltsam, dachte sie, wie schnell einem ein Ort vertraut werden kann. Zu vertraut vielleicht?, fragte sie mit einem Anflug von Beklommenheit. Layn hatte sie davor gewarnt, jenen milden Verfolgungswahn zu verlieren, den sich jeder Krieger auf feindlichem Gebiet bewahren sollte, und sie wusste noch, wie sie es damals für unmöglich gehalten hatte, dass sich jemand in einer solchen Lage überhaupt entspannen konnte.
Womit es nur umso dringender wurde, so schnell wie möglich nach Azras und Mangus aufzubrechen.
»Sie sind sehr still«, meinte Daulo.
Sie schürzte die Lippen. »Ich habe nur darüber nachgedacht, wie friedlich es hier ist«, erwiderte sie. »Milika überhaupt, und Ihr Haus im Besonderen. Ich wünsche mir fast, ich könnte
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