Cobra
wurde, wenn sie erst einmal dort waren. »Daulo, ich habe keine Ahnung, wie man hier den Gottesdienst feiert«, raunte sie ihm zu.
Er sah sie stirnrunzelnd an. »Was meinen Sie damit? Gottesdienst ist Gottesdienst.«
Darauf gab es verschiedene Antworten, sie entschied sich für die – hoffentlich – unverfänglichste. »Schon, aber die äußere Form unterscheidet sich doch stark von Ort zu Ort.«
»Ich dachte, Sie hätten aus dem Besuch Ihres Vaters hier etwas über uns gelernt?«
Jin spürte, wie ihr der Schweiß auf der Stirn ausbrach. Jetzt, inmitten einer qasamanischen Menschenmenge, war wohl kaum der geeignete Zeitpunkt, um auch nur verdeckte Anspielungen
dieser Art zu machen. »Seine Gastgeber haben ihm nicht alles gezeigt«, murmelte sie gepresst. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, nicht so laut zu sprechen?«
Er warf ihr kurz einen Blick zu und schwieg. Nein, dachte sie verdrießlich, das mit gestern Abend hat er mir noch nicht verziehen. Hoffentlich heilte sein angeschlagenes Ego, bevor er irgendetwas Unüberlegtes tat.
Ein paar Minuten später trafen sie am Sajada ein, einem eindrucksvollen, weiß-goldenen Gebäude, das wie eine vergrößerte Version dessen aussah, das sie in Milika gesehen hatte – und das jetzt, wo sie darüber nachdachte, fast identisch war mit ähnlichen Gebäuden, die sie von den Vids der vorangegangenen Mission kannte. Eine Übereinstimmung, die im Zusammenhang mit Daulos Bemerkung, Gottesdienst sei Gottesdienst, auf eine starke religiöse Einheitlichkeit auf ganz Qasama schließen ließ. Handelte es sich also um eine staatlich verordnete Religion? Oder war es schlicht die einzige? Sie nahm sich vor, das Thema anzusprechen, wenn und falls Daulo sich jemals wieder beruhigen sollte.
»Und?«, fragte Daulo eine Stunde später, als sie das Sajada verließen. »Wie hat es Ihnen gefallen?«
»Ich habe noch nie etwas Vergleichbares erlebt«, erklärte Jin ihm aufrichtig. »Es war sehr … bewegend.«
»Oder primitiv, mit anderen Worten?«
Seine Stimme klang wie eine Kampfansage. »Überhaupt nicht«, beruhigte sie ihn. »Vielleicht emotionaler, als ich es gewohnt bin, aber ein Gottesdienst, der die Gefühle nicht anspricht, ist wohl eine ziemliche Zeitverschwendung.«
Seine Haltung schien ein wenig von ihrer Steifheit zu verlieren. »Da gebe ich Ihnen Recht«, sagte er und nickte.
Jin fiel auf, dass die Menschenmenge auf dem Weg nach Hause weniger dicht zu sein schien als auf dem Weg in das Sajada , und sie fragte Daulo danach. »Die meisten von ihnen werden mit ihren Heyats im Sajada geblieben sein«, erklärte er ihr.
»Ihren Heyats ?«
»Gruppen von Freunden und Nachbarn, die zu einem weiteren Gottesdienst zusammenkommen«, erklärte er und sah sie dabei seltsam an. »Gibt es so etwas bei Ihnen auf – zu Hause etwa nicht?«, fügte er mit einem flüchtigen Blick auf die anderen Fußgänger in Hörweite hinzu.
»Na ja, jedenfalls nennt man es nicht Heyats «, sagte sie und dachte angestrengt nach. Es war offenkundig, dass die Qasamaner ihre Religion sehr ernst nahmen. Wenn sie sich mit Daulo versöhnen wollte, tat sie gut daran, eine Antwort zu finden, die die Ähnlichkeiten im Gottesdienst auf Aventine und Qasama unterstrich und die Unterschiede möglichst herunterspielte. »Aber wie Sie vorhin schon sagten, Gottesdienst ist Gottesdienst«, fuhr sie fort. »Nur ist der Stil bei Ihnen anders. Die Absicht ist gewiss die gleiche.«
»Das ist mir schon klar. Aber mich interessierte gerade der Stil.«
»Aber der Stil ist nicht das, was wirklich zählt …« Sie verstummte, als irgendetwas vor ihnen ihre Aufmerksamkeit erregte. »Daulo … wie deutlich sieht man uns an, dass wir nicht aus der Stadt sind?«
Sie gingen noch drei Schritte weiter, bevor er antwortete. »Machen Sie sich Sorgen wegen dieser Ghaalas da vorne?«
»Das Wort kenne ich nicht«, raunte sie, »aber wenn Sie diese Teenager meinen, die dort an dem Gebäude lehnen, ja, die meine ich auch. Können sie an unserer Kleidung erkennen, dass wir aus einer Siedlung stammen?«
»Wahrscheinlich«, sagte Daulo leise. »Aber seien Sie unbesorgt. Sie werden uns nicht behelligen.« Er zögerte. »Und wenn doch, überlassen Sie es mir. Verstanden?«
»Sicher«, sagte Jin. Ihr Puls, der ihr bereits bis in die Ohren pochte, legte noch etwas zu. Die verwahrlost aussehenden Jugendlichen – sieben an der Zahl, wie sie zählte – hielten den Blick unmissverständlich auf sie und Daulo gerichtet.
Und sie lösten sich
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