Cobra
Jonny schüttelte den Kopf. »Sie begreifen das nicht.«
»Ich bin auch nicht sicher, ob ich es begreife. Ist es, weil ich gesagt habe, die Leute hätten Angst vor dir?«
»Damit hat es nichts zu tun. Die Menschen auf Adirondack hatten auch Angst vor uns, einige jedenfalls. Aber trotzdem …« Jonny seufzte. »Hör zu. Horizon befindet sich genau auf der anderen Seite des Imperiums, weit weg vom Krieg. Selbst zum Zeitpunkt ihres weitesten Vordringens seid ihr hier nicht einmal auf fünfzig Lichtjahre an einen Troft herangekommen. Wie kann ich das Lob von Menschen entgegennehmen, die keine Vorstellung davon haben, was sie eigentlich bejubeln? Ich müsste ihnen etwas vorspielen.« Er starrte aus dem Fenster. »Adirondack hat nach dem endgültigen Abzug der Trofts eine große Siegesfeier abgehalten. Das hatte nichts von Pflichtgefühl an sich – als die Menschen jubelten, konnte man genau sehen, weshalb. Und sie wussten auch, wen sie ehrten. Nicht die von uns, die auf der Bühne standen, sondern die, die nicht anwesend waren. Statt einen Fackelzug abzuhalten, haben sie ein Requiem gesungen.« Er sah Jame an. »Wie könnte ich mir danach noch das Feuerwerk in Cedar Lake ansehen?«
Jame legte seinem Bruder die Hand auf den Arm und nickte schweigend. »Ich gehe Gwen rufen«, sagte er einen Augenblick später.
Pearce kam ins Haus zurück. Er sagte nichts, warf Jonny jedoch einen enttäuschten Blick zu, bevor er in der Küche verschwand. Seufzend ging Jonny sich die Hände waschen.
An jenem Abend war es sehr still beim Essen.
Die Vorstellungsgespräche am nächsten Vormittag waren ein völliger Reinfall. Die beiden potenziellen Arbeitgeber empfingen ihn eindeutig nur aus Höflichkeit. Jonny kehrte zähneknirschend nach Hause zurück und rief noch einmal die Zeitung auf. Diesmal schraubte er seine Ansprüche etwas zurück, und am Ende war seine Liste dreieinhalb Seiten lang. Verbissen setzte er sich ans Fon.
Als Jame schließlich kam und ihn zum Mittagessen holte, hatte er sämtliche Nummern auf der Liste bereits abgehakt. »Nicht ein einziges Vorstellungsgespräch diesmal«, meinte er angewidert zu Jame, als sie ins Esszimmer gingen, wo die anderen warteten. »In dieser Stadt sprechen sich Neuigkeiten schnell rum, was?«
»Komm schon, Jonny, irgendjemanden muss es hier doch geben, dem es nichts ausmacht, dass du ein Ex-Cobra bist«, sagte Jame.
»Vielleicht solltest du deine Erwartungen etwas zurückschrauben«, schlug Pearce vor. »Ein Job als Hilfsarbeiter würde dir bestimmt nicht schaden.«
»Oder vielleicht könntest du Polizist werden«, meldete sich Gwen zu Wort. »Das wäre doch super.«
Jonny schüttelte den Kopf. »Ich habe bereits versucht, eine Stelle als Hilfsarbeiter zu bekommen, schon vergessen? Die Leute in der Straßenbaukolonne hatten entweder Angst vor mir, oder sie dachten, ich wollte sie lächerlich machen.«
»Aber das wird doch anders, wenn sie dich erst einmal kennengelernt haben«, wandte Irena ein.
»Vielleicht würden sie dich auch mehr respektieren, wenn sie eine klarere Vorstellung davon hätten, was du für das Imperium getan hast«, fügte Pearce hinzu.
»Nein, Dad.« Jonny hatte versucht, seinem Vater zu erklären, weshalb er nicht wollte, dass Cedar Lake ihn öffentlich ehrte,
und der ältere Moreau hatte zugehört und behauptet, er hätte verstanden. Aber Jonny bezweifelte das, und Pearce hatte den Versuch noch nicht aufgegeben, seinen Sohn umzustimmen. »Vielleicht wäre ich ein guter Polizist, Gwen«, fügte er an seine Schwester gewandt hinzu, »aber das würde mich zu sehr an manche Dinge erinnern, die ich in der Armee tun musste.«
»Also, dann solltest du vielleicht wieder zur Schule gehen«, schlug Irena vor.
»Nein!«, fuhr Jonny in einem plötzlichen Wutanfall auf.
Erschrockenes Schweigen legte sich über den Raum. Jonny atmete tief durch und zwang sich, wieder ruhig zu werden. »Hört zu, ich weiß, ihr versucht alle, mir zu helfen, und ich weiß das zu schätzen. Aber ich bin vierundzwanzig Jahre alt und kann allein mit meinen Problemen fertigwerden.« Plötzlich legte er seine Gabel aus der Hand und stand auf. »Ich habe keinen Hunger. Ich glaube, ich gehe ein bisschen raus.«
Minuten später fuhr er die Straße hinunter und überlegte, was er tun sollte. In der Stadt war gerade ein neues Vergnügungszentrum eröffnet worden, er war jedoch nicht in der Stimmung für große Menschenmengen. In Gedanken ging er eine Liste alter Freunde durch, doch das war
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