Coco - Ausbildung zur 0
der Atem.
Sie stand vor einem Weiher – weitläufig wie ein See –, der aus einem anderen Raum-Zeit-Kontinuum hierher versetzt worden sein musste. Das Licht tauchte den kleinen See in zauberhafte Schleier, die alten Weiden am Ufer tauchten ihre schweren Äste in das Wasser und zerrissen damit das Bild von unendlicher Ruhe. Vögel saßen in den Baumwipfeln, und obwohl im Garten davon nicht ein Laut zu hören war, schien hier die Luft vom Gesang zu schwirren. Coco ging einen Schritt weiter und war von dem Anblick, der sich ihr bot, so entzückt, dass sie es kaum fassen konnte. Sie sah sich um, und zu ihrer Rechten stand eine steinerne Bank, auf der sie sich niederließ.
Fassungslos vor Freude – einem Gefühl, das sie selbst nicht näher beschreiben konnte, aber dass es da war, wusste sie, als sie diesen Ort betreten hatte – saß sie dort und ließ die Ruhe, die Ausgeglichenheit dieses Ortes auf sich wirken. Wie banal doch alles war, worüber sie sich in den letzten Wochen Sorgen gemacht hatte! Wie entsetzlich weit weg das alles war und wie wunderbar einfach es jetzt sein würde! Ihre Gedanken an diese Ereignisse erschienen ihr so fremd, so unwirklich, ganz so, als wären sie nicht geschehen. Coco erinnerte sich an die Gespräche, die sie mit Xavier und Dianne geführt hatte, wie durch einen Schleier hindurch, und endlich verstand auch sie, was ihre Freundin und ihr Geliebter ihr sagen wollten. Sie war in ihrer Unerfahrenheit missbraucht worden. Diese Erkenntnis trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie zerfloss in ihren Tränen, und als sie Margerites trauriges Lächeln über sich sah, wusste sie, dass sie von der Bank heruntergerutscht war und sich wie ein kleines Kind zusammengekrümmt hatte.
„Es wird gut“, flüsterte die Haushälterin, half ihr auf, und sie setzten sich nebeneinander auf die Bank. Die Wärme und Güte der älteren Frau, dieses schweigende Verstehen, beruhigten Coco nach und nach. Es erlaubte ihr sogar, das Erlebte weit von sich zu schieben und nach vorn zu sehen.
Sie genossen den Tag, ebenso den kommenden, und beinahe verpasste Coco Xaviers Ankunft, so sehr hielt sie dieser Ort gefangen. Sie dachte viel nach – über sich, über das, was geschehen war und wie es dazu hatte kommen können. Und als Xavier ihr bei seiner Rückkehr aus Paris ins Gesicht sah, wusste er, dass sie damit abgeschlossen hatte und bereit war, sich ihm in allem hinzugeben. Er nickte nur und nahm sie in den Arm.
„Willst du nach Hause?“, fragte er und küsste sie auf ihre Stirn. Coco nickte.
„Ja, will ich.“
Sie fuhren am nächsten Morgen zurück. Die Nacht über lagen sie sich in den Armen, erzählten von sich, sprachen über das, was kommen würde, und kurz bevor die Sonne aufging, saßen sie in Xaviers Wagen auf der Fahrt zurück nach Paris. Während der ersten Stunden ihrer Rückreise waren die Straßen noch leer, und das beruhigte Coco auf unbestimmte Weise. Doch kaum erreichten sie die ersten Ausläufer der Millionenmetropole, wurden die Straßen voller. Und der Gedanke an Paris, daran, was die Kollegen sagen würden, wie sich ihre Zukunft gestalten würde, ließ ihr kurz den Atem stocken. Aber sie ließ sich nichts anmerken. Sie würde die hämischen Blicke, dass Xavier sie jetzt doch ins Bett bekommen hatte, ertragen. Denn es war gut, dass es so weit gekommen war.
Xavier hielt kurz an Cocos Wohnung, und sie gingen gemeinsam hinauf. Es war unausgesprochen, doch von vornherein klar, dass sie ihr heißgeliebtes Apartment behalten, aber die meiste Zeit mit ihm verbringen würde. Sie packten einige Sachen ein, und Coco schloss hinter ihnen ab. Es war ein seltsames Gefühl, aufregend und spannend, und eigentlich hätte sie so etwas wie Wehmut erwartet, ihr Heim zu verlassen. Aber da war nichts dergleichen, und so drehte sie sich mit einem Lächeln auf den Lippen zu ihm um.
„Alles klar?“, fragte er, und ihr Lächeln wurde sicherer.
„Ja … ist es.“
Xaviers Wohnung lag in Neuilly, gegenüber der Porte Maillot. Coco mochte die Gegend nicht besonders, da dort hauptsächlich neureiche Familien wohnten. Aber seine Etagenwohnung machte den fehlenden Charme der Umgebung wett. Weitläufig war diese Wohnung, und wenn sie bisher dachte, dass sie darin schon alles gesehen hätte, wurde sie am heutigen Abend eines Besseren belehrt.
Xavier schenkte ihnen Wein ein, während sie vor dem Kamin saßen. Es sollte sie beruhigen, ihr den Anflug von Verlegenheit nehmen, den sie verspürte. Allein hier zu
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