Coco Chanel & Igor Strawinsky
wenn Sie die Arztrechnung bezahlten.«
»Unsinn. Betrachten Sie diesen Punkt als geklärt. Der Arzt kommt heute Nachmittag gegen drei Uhr.« Igor macht erneut Anstalten, zu protestieren, aber Coco bleibt hart.
Sie lachen verlegen. Sie merkt, dass sie wie eine Lehrerin klingt, und er weiß, wie teuer Ärzte sein können und dass er nie für eine längere Behandlung aufkommen könnte. Er spürt, wie das Gewicht von Cocos Geld die Waagschalen der Autorität weiter zu ihren Gunsten neigt. Gedemütigt senkt er den Blick. Dabei fällt ihm auf, dass sein Hemd am Bauch offen steht und darunter die Haut sichtbar ist. Ein paar dunkle Haare kräuseln sich zart im Licht.
Sie folgt seinem Blick. »Sie haben einen Knopf verloren.«
Er errötet leicht und schiebt sein Hemd zusammen.
»Da ist er!« Ihr Blick scheint sich suchend um das Klavier zu winden. Sie beugt sich vor und hebt den Knopf auf. »Ich werde ihn für Sie annähen.«
Er bringt es nicht über sich, schon wieder Einwände zu erheben. »Danke. Ich gebe das Hemd heute Nachmittag Marie.«
»Heute Nachmittag bin ich nicht zu Hause. Es dauert nur einen Moment. Kommen Sie, ich mache es jetzt gleich.«
Ihr Drang, alles immer gleich zu erledigen, bringt ihn aus
der Fassung. »Na gut«, platzt er heraus, »geben Sie mir eine Minute. Ich gehe nur schnell nach oben und ziehe mich um.«
Von seiner Förmlichkeit überrascht, reagiert Coco noch kürzer angebunden. »Nicht nötig.« Da ist sie wieder, diese Entschlossenheit in ihrer Stimme. »Sie brauchen Ihr Hemd nicht einmal auszuziehen. Warten Sie hier, ich bin gleich wieder da.« Ihr Kleid wispert ihm lieblich zu, als sie das Zimmer verlässt.
Igor ist aufgewühlt. Eigentlich will er sich häufiger durchsetzen, aber jedes Mal, wenn er mit ihr redet, schmelzen seine Vorsätze dahin. Ihre direkte Art entwaffnet ihn. Er nimmt die Brille ab und reinigt die Gläser mit einem Hemdzipfel. Da erst bemerkt er, dass seine Hände zittern.
Coco kommt mit einem kleinen hellbraunen Nadelpäckchen und etwas Garn zurück. »Drehen Sie sich ins Licht«, befiehlt sie. Mit der Zungenspitze feuchtet sie den Faden an und fädelt ihn ein.
Gehorsam dreht er sich zum Fenster. Das Licht fällt auf sein weißes Hemd und macht es durchsichtig. Scheu wagt Igor nicht, sich zu rühren, als sie sich dem Knopf an seiner Taille zuwendet. Die Arme hoch erhoben und den Kopf gereckt, fühlt er die Zimmerdecke dicht über sich.
Coco spürt, wie sich seine Muskeln unter dem Hemd anspannen. Für einen kleinen Mann ist er beeindruckend athletisch. Jetzt ist sie es, die einen Moment zögert. Doch dann konzentriert sie sich auf die Nadel, zieht den Faden straff heraus und sticht die Spitze energisch wieder durch den Stoff. Etwas zu energisch, denn dabei sticht sie sich in den Finger. Sie flucht, als der Schmerz durch ihren Körper schießt.
Igor weicht zurück, lässt die Arme sinken und schaut auf sie herab. »Was ist passiert?«
Hastig steckt sie den Finger zwischen die Lippen. In ihren Augen spiegelt sich das Weiß seines Hemds.
Eine plötzliche Zärtlichkeit steigt in ihm auf. Er unterdrückt den Impuls, den verletzten Finger zu nehmen und ihn in seinem Mund zu heilen. Abrupt besinnt er sich auf die Regeln der Höflichkeit und reißt sich zusammen. »Hier, nehmen Sie mein Taschentuch.«
»Es ist gar nichts passiert.« Ein Blutstropfen quillt heraus. Für ihn ein weiterer Beweis - falls es eines Beweises überhaupt noch bedurft hätte -, wie prall das Leben in ihr fließt. Entschlossen tupft sie ihn mit dem Taschentuch weg, das jetzt mit kleinen roten Sternchen gesprenkelt ist.
»Ist wirklich alles in Ordnung?«
Gegenseitige Anziehung flammt zwischen ihnen auf. Zart und unausgesprochen vielleicht, aber genauso real und offensichtlich wie der Knopf, den sie an sein Hemd näht. Igor spürt mit einem Mal ein sehnendes Verlangen in sich aufsteigen. Der Stich der Nadel in ihren Finger hat sein Blut erhitzt.
»Natürlich. Lassen Sie mich das schnell fertig machen.«
Ehe er widersprechen kann, macht sie sich wieder an die Arbeit. Der Knopf hängt schlaff an seinem gekräuselten Faden aus dem Loch. Er hebt wieder die Arme und sieht auf sie hinunter. Ihr Haar ist über einem weißen Umlegekragen zusammengebunden. Von ihrem Nacken steigt der Geruch der Seife auf, die in allen Badezimmern des Hauses liegt. Er spürt den Druck ihrer Hand an seiner Brust.
»Hier, halten Sie das«, sagt sie.
Er legt einen Finger an den Knopf, während sie den Faden
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