Coco Chanel & Igor Strawinsky
ihr haben? Sie hat bisher ein so privilegiertes Leben geführt. Jetzt soll Igor entscheiden, mit wem er zusammen sein will. Coco ist sich sicher, dass er keine Lust hat, den Märtyrer zu spielen. Sie hofft nur, dass sie ihn nicht verschreckt hat.
Als sie aus dem Fenster schaut, hat sie das Gefühl, die Welt um sie herum dehne sich aus. Herzförmige Blattschatten zittern flach an der Wand.
Sie klappt den Klaviaturdeckel wieder herunter und schließt ihn ab. Dann lässt sie ihren Blick über den Tisch gleiten und vergewissert sich, dass nichts verrückt wurde und alles noch genauso daliegt, wie sie es vorgefunden hat. Sie verlässt das Zimmer so leise, wie sie gekommen ist. Hinter ihr fällt das Sonnenlicht durch die halb geöffneten Fensterläden auf die Gegenstände und erwärmt sie.
Nach ihrer Rückkehr aus der Kirche entspannen sich Jekaterina und Igor im Garten in zwei Liegestühlen. Die Kinder spielen auf dem Rasen Fußball. Ihre lauten Rufe tragen weit. Am anderen Ende des Gartens beginnen die beiden Jungen in dem Glauben, ihre Eltern könnten sie nicht hören, nach einem harten Zweikampf zu fluchen. Igor ermahnt sie mit erhobener Stimme, ihre Zunge im Zaum zu halten.
Sein Liegestuhl steht leicht abgewandt von dem seiner Frau. Seit sie aus der Kirche zurück sind, haben sie noch kein einziges Wort miteinander gesprochen. Emsig kritzelt er Anmerkungen in seine Partitur.
»Du schimpfst sie immer nur aus«, sagt sie, »aber du spielst nie mit ihnen.« Ihre weiße Haut wirkt seltsam unpassend neben dem dunkleren Teint ihres Mannes.
»Dich sehe ich auch nie mit ihnen spielen«, erwidert er nach einer Pause. Obwohl er die aufrichtige Absicht hat, das Verhältnis zu seiner Frau wieder einzurenken, fällt ihm auf, dass er in ihrer Gegenwart ständig gereizt ist.
»Das würde ich aber, wenn es mir besser ginge.«
»Nun, ich für mein Teil habe nicht vor, meine Zeit zu verschwenden.« Er schreibt weiter, hastiger jetzt.
»Théo ist unglücklich in letzter Zeit.«
»Wirklich?«
»Aber dich interessiert das ja nicht.«
Er antwortet langsam und bedächtig, den Bleistift zwischen die Lippen geklemmt: »Doch. Das interessiert mich.«
»Vielleicht hat er uns streiten hören.«
»Nein. Er hat dich schreien hören.«
Sie ignoriert ihn. »Es ist schwer für sie. Das häufige Umziehen.«
»Zu Hause in Russland wäre es noch viel schwerer.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Ach wirklich?«, fragt er spöttisch.
» Du bist der Einzige, der sich hier in der Villa wohlzufühlen scheint.«
»Das ist nicht wahr. Ludmilla ist sehr gern hier, und Soulima gefällt es auch. Es gibt ja auch keinen Grund, warum sie sich hier nicht wohlfühlen sollten.«
»Mir fallen da einige ein.«
»Jekaterina - siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?«, versetzt er gereizt.
Es geht nicht, es funktioniert einfach nicht mit Jekaterina. Er will Coco, und er fühlt sich elend ohne sie. Aber es ist die reine Folter, die ganze Zeit so dicht bei ihr zu sein und sie doch nicht berühren zu können. Es steigert die Versuchung ins Unerträgliche. Er muss etwas unternehmen. So, wie es jetzt läuft, ist es nicht richtig. Er gesteht sich ein, dass er sich in sie verliebt hat, aber er weiß nicht, was er tun soll. In ihm brennt das Verlangen nach einem anderen Leben.
Flucht.
Es ist, als spürte Jekaterina, was in ihm vorgeht. »Warum verbringst du überhaupt noch Zeit mit uns? Warum gehst du nicht einfach zu ihr? Das ist es doch, was du willst, oder nicht?«
Igor antwortet nicht, beißt sich nur auf die Lippen und kritzelt weiter seine Kommentare.
»Du redest nicht mehr mit mir. Sogar Joseph schenkt mir mehr Aufmerksamkeit als du.«
Sie hat recht, er will jetzt gar nicht bei ihr sein, und er hat ihr nichts zu sagen. Er schämt sich, trotzdem kann er es nicht leugnen: Ein Teil des Problems ist die Tatsache, dass er sich so machtlos fühlt, weil er hier von der Großzügigkeit einer anderen Frau lebt und ihren Launen unterworfen ist. Irgendjemandem muss er zeigen, dass er der Herr ist -
und wer wäre dafür besser geeignet als seine Frau? Natürlich weiß er tief im Innern, wie erbärmlich dieses Verhalten ist. Aber er kann einfach nicht anders.
Die Jungen kommen auf sie zugelaufen. »Papa, Mama, kommt mit!«
Da Igor mit seiner Komposition ohnehin nicht weiterkommt, lässt er sich, von Jekaterinas kränkender Bemerkung aufgestachelt, nicht lange bitten. Rachsüchtig stellt er vor ihr seine Energie zur Schau, schiebt schwungvoll
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