Cocoon, Band 01
ein, dass sie mir erzählt hat, dass manche Männer ihrer Meinung nach weben können.
»Die meisten vermögen es nicht. Gerüchteweise gibt es Abteilungen, in denen Männer am Gewebe arbeiten, aber die Gilde leugnet es.«
»Glaubst du, dass es sie gibt?«, frage ich und begreife, dass ich nun endlich ein bisschen mehr erfahre.
»Auf jeden Fall. Die Konvente sind nur Fassade für die Gilde. Was wir tun, ist zwar wichtig, aber außer uns sind noch viele andere am Werk.«
Mir fällt es schwer, mir jemanden vorzustellen, der mächtiger als Loricel sein soll. »Wichtiger als du?«
»Meine – unsere – Fähigkeit«, verbessert sie sich, »ist erforderlich, um die tatsächliche Rohmaterie zu bändigen. Ohne sie würde Arras von innen heraus verfallen. Doch die Webjungfern brauchen sie nur, um Dinge hinzuzufügen und aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus sind wir für sie nicht von Wert.«
»Aber sie brauchen uns trotzdem.« Allein der westliche Konvent beherbergt hundert Mädchen und Frauen, die rund um die Uhr in Schichten arbeiten. Ohne Webjungfern könnte Arras niemals überleben.
»Ja, aber wenn sie unsere Fähigkeiten simulieren könnten, benötigen sie uns nicht mehr.«
»Deshalb kartografieren sie mich«, murmle ich.
»Noch haben sie den Dreh nicht heraus«, sagt sie. »Aber die Geschwindigkeit, mit der sie Beeinflussungstechnologien entwickeln, beunruhigt mich. Es wird nicht mehr lange dauern.«
»Ich darf nicht zulassen, dass sie mich erneut kartografieren«, sage ich und balle die Fäuste im Schoß.
»Sie werden nicht um deine Erlaubnis bitten«, sagt sie mit einem schiefen Lächeln. »Außerdem haben sie bereits einen Termin für dich angesetzt.«
»Lässt mir Cormac das jetzt schon durch dich ausrichten?«
»Nein, meine Aufgabe ist es, dich anzulügen. Cormac geht davon aus, dass ich dir die Wahrheit vorenthalte, weil er glaubt, dass ich Arras über alles stelle.« Sie hält inne und mustert mich einen Moment lang. »Weil ich das in der Vergangenheit immer gemacht habe.«
»Immer?«
»Es steht mir nicht zu, eine Entscheidung für dich zu treffen, vor allem wenn man bedenkt, was sie vorhaben.« Loricel senkt den Blick, und als sie ihn wieder hebt, wandert er unstet zwischen mir und den Wänden des Ateliers hin und her.
»Du musst mir nicht verraten, was sie mit mir vorhaben«, sage ich. »Ich bin klüger, als ich aussehe.«
Sie lacht, doch ihr Gesicht zeigt keine Spur von Heiterkeit. »Wenn du zur Betreuung gehst, werden sie dich erneut kartografieren.« Sie spricht schnell, als wären die Worte ihrem Mund nur mit knapper Not entkommen.
»Ich verstehe«, murmle ich.
»Nein, du verstehst nicht«, widerspricht sie hastig. »Sie wollen dich überschreiben.«
Mir fallen die kleinkarierten Hausfrauen auf dem Gildenball ein, die so scharf darauf waren, ihre Kinder überschreiben zu lassen. Der Gedanke, sie folgsamer zu machen, hat sie begeistert. Ich muss einen Wutschrei unterdrücken, der sicher die Wachen auf den Plan rufen würde. Wie können sie es wagen?
»Sie dürfen mich untersuchen, so viel sie wollen«, sage ich. »Irgendwann werden sie ihre Antwort finden … Und dann können sie mich endlich umbringen.« Mein Herz schlägt nicht mehr schneller, wenn ich von meinem Tod spreche. Seine Unausweichlichkeit ist nur eine weitere Tatsache meines neuen Lebens hier. Anscheinend gewöhne ich mich gut an den Gedanken.
»Vielleicht, aber erst müssen sie dich überschreiben, um dich gefügig zu machen.«
»Ich glaube, dass sie nicht so weit kommen werden, mich gefügig zu machen«, sage ich, und meine Stimme trieft vor Wut.
»Du hast bei Enora gesehen, wie weit er zu gehen bereit ist«, sagt Loricel.
»Was meinst du, warum hat er das wohl erst an Enora ausprobiert? Wegen ihrer Affäre mit Valery?«, vermute ich.
»Die Kritik an dieser Beziehung war nur ein Vorwand«, erklärt Loricel. »Das war eine billige Ausrede, um es an ihr zu testen.«
»Wusste sie es? Was sie mit ihr vorhatten?«, frage ich.
»Keine Ahnung. Sie haben sie nachts geholt, ohne mir Bescheid zu geben.«
Sie kommen immer in der Nacht.
Selbst wenn das meiste von dem, was Loricel mir erzählt, nichts als Theorie ist, dürfte die bittere Wahrheit nicht weit davon entfernt sein. Besser, sich darauf gefasst zu machen. »Wie viel Zeit bleibt mir noch?«
»Sie sind noch in der Testphase«, sagt sie. »Um ehrlich zu sein, hat Enoras Selbstmord sie aus dem Konzept gebracht. Nun hat Cormac Angst, dass auch du labil werden
Weitere Kostenlose Bücher