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Cocoon, Band 01

Cocoon, Band 01

Titel: Cocoon, Band 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Albin
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unmöglich wissen, dass …
    »Hör mal«, sagt er. »Ich verstehe schon. Aber da ist etwas, was du dir überlegen solltest. Mir stehen deutlich mehr Mittel zur Verfügung, und ich bin für die Gilde von einem gewissen Wert. Er nicht. Ihn bringst du nur um.«
    Ich schlucke und begegne seinem forschenden Blick. »Was Besseres hast du nicht aufzufahren?«
    »Ich will dich ihm nicht ausspannen«, sagt er mit gedämpfter Stimme. »Ich kenne Jost besser, als du denkst. Ich will nur nicht, dass jemand zu Schaden kommt.«
    »Wie treusorgend von dir«, brumme ich.
    »Denk, was du willst«, erwidert er. Jetzt stehen wir vor der Tür des Messingaufzugs. Er streckt die Hand aus und drückt den Knopf nach oben. Als sich die Tür öffnet, hält er sie für mich auf. Wir treten in die Kabine. Dann gleitet die Tür zu, und er beugt sich über mich. Ich spüre seinen heißen Atem am Ohr.
    »Erinnerst du dich daran, was ich dir auf dem Ball erzählt habe?«
    Seine Worte kitzeln mich in den Ohren und kribbeln im Nacken. Doch ich bringe ein Nicken zustande.
    »Also erinnerst du dich an den Plan, über den wir gesprochen haben. Wenn du endlich einen hast, dann ist jetzt wahrscheinlich der Zeitpunkt, ihn umzusetzen.«
    Das Kribbeln verwandelt sich in eine elektrische Entladung, und ich spüre den drängenden Puls in meiner Brust, meinen Handgelenken und in den Ohren. »Tja, ich habe keinen«, flüstre ich.
    »Dann denk dir einen aus«, wispert er in mein Haar.
    Kurz verharrt er so, und ich schließe die Augen und frage mich, ob mir der Kuss tatsächlich nichts bedeutet hat. Das Läuten der Aufzugtür lässt mich die Augen wieder aufreißen. Erik strafft sich neben mir und streckt den Arm aus, um die Schiebetür aufzuhalten – um mich zu beschützen – , während ich aus der Kabine trete.

NEUNZEHN
    I ch bin wie hypnotisiert von den Lichtfäden, die sich in der Leere umeinander winden. Ich habe die Naht in Loricels Illusion gefunden und sie aufgetrennt. Jetzt presse ich den rechten Arm an den Körper, denn ich verspüre das schmerzhafte Verlangen, die Hand auszustrecken, um zu ertasten, wie sich das dicke, grobe Gewebe anfühlt. Doch ich beherrsche mich und berühre die offene Naht nicht. Dieses Zimmer im fernen Turm, von dem aus wir jeden Ort in Arras heraufbeschwören können, ist der einzige Ort, der sich wirklich anfühlt.
    »Dort würdest du verkümmern«, sagt Loricel in meinem Rücken.
    Als ich ankam, war das Atelier leer, aber mir war klar, dass sie bald zurückkehren würde. Jetzt, da sie hier ist, wünsche ich mir, ich hätte mehr Zeit gehabt, um den Spalt allein zu betrachten. Wäre ich länger ungestört gewesen, hätte ich die Schwelle vielleicht überschritten und die grobe Rohmaterie berührt, die zwischen Erde und Arras wabert.
    Loricel stellt sich neben mich. »Schwer zu begreifen, nicht wahr?«
    »Ich kann es sehen«, sage ich, »aber es fühlt sich wie eine weitere Illusion an … Ich will es anfassen.«
    »Als würden deine Hände regelrecht davon angezogen«, sagt sie.
    »Geht es dir auch so?«
    »Ja.«
    »Hast du es je berührt?«
    »Nein.« In ihrer Stimme schwingt eine aus Resignation geborene Überzeugung. »Vermutlich will ich es gar nicht herausfinden. Solange ich es nicht anfasse, existieren noch so viele Möglichkeiten. Vielleicht übersteigen seine Kräfte mein Können. Vielleicht wäre ich aber auch in der Lage, die Rohmaterie genauso zu bearbeiten wie das Gewebe von Arras. Da ich nicht weiß, was mir lieber wäre, lasse ich meine Finger davon.«
    »Wann hast du es zum ersten Mal gesehen?«, frage ich.
    »Kinsey, meine Vorgängerin, hat es mir gezeigt«, antwortet sie, neigt den Kopf zur Seite und betrachtet mich interessiert aus halb geschlossenen Augen.
    »Und all die Jahre lang hast du nie … «
    »Vielleicht bin ich feige.«
    »Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Ich glaube, es ist schwerer, es nicht zu berühren. Mich verlangt es so sehr danach. Es ist ein innerer Zwang. Und ich bewundere dich dafür, dass du ihm so lange widerstehen konntest.«
    Loricel schnaubt. »Vielleicht mache ich es noch, bevor ich sterbe.«
    Ich seufze schwer und wende mich um, um den Spalt zu schließen. Während ich die Naht wieder flicke, streife ich die rohe Materie mit den Fingerspitzen, und es brennt. Seit Wochen hatte ich nicht mehr so viel Gefühl in den Fingern.
    »Spürst du es?«, fragt sie.
    »Es pulsiert. Lebhaft«, erwidere ich leise.
    »Weil es voller Leben ist«, sagt sie. »Ich weiß, dass es dir schwerfällt,

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