Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cocoon, Band 01

Cocoon, Band 01

Titel: Cocoon, Band 01
Autoren: G Albin
Vom Netzwerk:
die Prozedur immer Schritt für Schritt erklärt hat, während sie sich ihr selbst unterzog. Zwischendurch wies sie mich oft darauf hin, wie wenig Kosmetika ich mit meiner makellosen Haut einmal brauchen würde. Sie bekäme einen Schreikrampf, wenn sie sähe, wie mein Gesicht hier übermalt wird, und ich stelle mir immer wieder vor, wie sie hereinplatzt, um mich vor den Pudern, Farbtöpfen und pikenden Kajalstiften zu retten.
    »Sie ist furchtbar abgemagert«, bemerkt die Schnippelfrau, die jetzt dicke Gelklumpen in mein noch nasses Haar kämmt.
    »Sie war wohl in den Zellen … ?«, erwidert die Kosmetikerin fragend. Ich sehe zu ihr auf, weil ich wissen will, ob sie wirklich den Gesichtsausdruck hat, den ich mir vorstelle – vielsagend und hochmütig –, aber stattdessen sehe ich eine Fassade heiteren Gleichmuts. Nur ihre Stimme verrät Neugier. Aber nicht ihre Worte interessieren mich. Mein Blick ist von ihrer Schönheit gefesselt, mit der sich nur die der Frisörin messen kann. Die Haut so rein wie frischer Honig, die tiefschwarzen Augen mandelförmig geschminkt. Die andere hat silbrige Haut und weizenblondes, seidiges Haar, das in feinen Zöpfchen um ihren Kopf geflochten ist. Ihre Lippen sind blutrot. Ich frage mich, was sie wohl über mein blödes kupferfarbenes Haar und meine käsige Haut denken. Ich schaue nicht noch mal hin, während sie mich weiter zurechtmachen. Ich spreche auch nicht. Noch immer sind sie mit ihrem eifrigen Geplapper beschäftigt, das sie die ganze Zeit über meinen Kopf hinweg fortgesetzt haben, ohne mich ein einziges Mal direkt anzusprechen – ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass ich zu weit unter oder zu weit über ihnen stehe. Als sie endlich fertig sind und mich in meinem Stuhl allein lassen, wage ich es, aufzublicken. Die verspiegelten Wände zeigen mich von allen Seiten, von vorne, von hinten, im Profil. In dem einfachen Kleid sehe ich aus wie meine Mutter – älter und schöner. Ich sehe aus wie eine Frau.
    Ich trete ein paar Schritte vor und berühre das kühle Glas. Ich habe nie viel Zeit vor dem Spiegel verbracht, aber jetzt tut es gut, hier zu stehen. Hunderte Spiegelbilder von mir, und alle beweisen, dass es mich wirklich gibt. In Gedanken wiederhole ich immer wieder meinen eigenen Namen und versuche, ihn mit dieser Frau in Verbindung zu bringen, deren rotes Haar weich auf ihr schneeweißes Kleid fällt; deren goldumrandete, leuchtend grüne Augen aus einem weichen, wohlgeformten Gesicht blicken. Diese Fremde. Adelice. Ich.
    Unfähig, mich abzuwenden, starre ich weiter in die Spiegel, bis sich mit einem Mal in einem von ihnen ein langer, gerader Sprung bildet. Erschrocken mache ich einen Satz zurück. Ich habe keine Ahnung, wie ich ihn kaputt gemacht habe. Der Spalt vergrößert sich zu einem Durchgang, aus dem eine Frau hervortritt. Hinter ihr schließt sich der Spiegel wieder vollständig – ohne die geringste Fuge. Sie trägt einen maßgeschneiderten Anzug, und ihr rabenschwarzes Haar ist perfekt frisiert. Ihrem Gesicht kann man ihr Alter nicht ansehen. Die Wölbung der Wangenknochen, der Schwung ihrer Brauen über den strahlenden, aber offensichtlich künstlich violetten Augen lassen sie eher älter aussehen. Ihre Körperhaltung vermittelt Autorität und Einfluss, wie auch ihre Kleidung – ich folgere daraus, dass sie keine gewöhnliche Webjungfer sein kann.
    Sie sagt nicht gleich etwas. Stattdessen mustert sie mich von oben bis unten, und ich frage mich, ob man mit einer Webjungfer einfach so reden darf. Der Junge, der mich aus den Zellen hergeführt hat, fällt mir wieder ein. Stell dich dumm . Aber ich kann mir nicht vorstellen, unentwegt den Mund zu halten.
    »Herzlichen Glückwunsch«, flüstert sie. Sogar in dem stillen Raum habe ich Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Selbst mein Atem scheint mir zu laut im Vergleich zu ihrer zarten Stimme.
    »Nicht viele schaffen es bis hierher, Adelice. Du kannst stolz auf dich sein!« Ihr Lächeln dringt nicht bis zu ihren falschen Augen vor. »Ich heiße Maela. Ich begrüße und trainiere die neuen Kandidatinnen. Die anderen Mädchen sind schon versorgt. Der Orientierungskurs beginnt morgen. Du hättest ihn fast verpasst.«
    »Tut mir leid«, murmle ich und blicke voller Scham auf meine bloßen Füße.
    »Setz dich.« Maela deutet auf den Kosmetikstuhl.
    »Das Leben einer Webjungfer ist ehrenvoll. Du kannst, was nur wenige können. Du hast Macht.« Ihre flüsternde Stimme hat etwas Fiebriges. »Aber, Adelice«,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher