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Cocoon, Band 01

Cocoon, Band 01

Titel: Cocoon, Band 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Albin
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nicht können. Nur ich habe diese Fähigkeit.
    »Das«, sie zeigt auf ein großes, verschnörkeltes Stück Stoff in leuchtendem Grün, Rosa und Rot, »seid ihr.«
    Die Mädchen kommen näher heran und drängen sich um das schimmernde Gewebe.
    »Wir sind schön«, bemerkt ein kleineres Mädchen voller Bewunderung.
    »Natürlich seid ihr das«, gurrt Maela sanft. »Die anderen Ausschnitte stammen aus verschiedenen Städten im westlichen Sektor. Die Webstühle erlauben uns, die momentane Verfassung von Arras aufzurufen und zu beobachten, und jeden Tag stutzen die Webjungfern den Teil des Stoffes zurecht, für den wir zuständig sind. Sie suchen nach brüchigen Fäden und bearbeiten die Entfernungsaufträge, die wir von den entsprechenden Stellen erhalten.«
    Sie zeigt uns, wie man die Webstühle einstellen muss, um die Feinheiten aus größerer Nähe sehen zu können. Unter unseren Blicken verwandelt sich ein Ausschnitt von Arras, der bis dahin nur ein einziges Farbengewirr war, in das detailreiche Bild eines Hauses.
    »Kann man die Entfernung eines Fadens beantragen?«
    »Ja, natürlich. Normale Bürger können den Vorgang anfragen, genau wie Rechtsvollzugsbeamte. Krankenhausangestellte beantragen die Entfernung von schwachen oder alten Menschen.«
    Ich denke an meine Großmutter und frage mich, wer wohl ihren Antrag gestellt hat. Sicher nicht sie selbst, und meine Mutter war es auch nicht. Ich verspüre ein Jucken in den Augen bei dem Gedanken daran, dass irgendein Arzt einfach beschlossen hat, dass ihre Zeit abgelaufen war.
    »Diese Webstühle fokussieren sich auf Gegenden, in denen Instandhaltungsmaßnahmen notwendig sind. Wir werden sie begutachten, und ihr erhaltet die Möglichkeit, den Schwachpunkt zu bestimmen und zu entfernen. Ihr könnt zwar mit den Webstühlen näher heran und weiter weg fahren und sogar nach ganz bestimmten Fasern suchen, aber es bedarf besonderer Fähigkeiten, die Schwachstellen auch ohne diese Vergrößerungs- und Ortungsfunktionen aufzuspüren.«
    Ich beginne, unruhig zu zappeln, und merke, dass es einigen anderen genauso geht. Man erwartet eine ganze Menge von uns, wenn man bedenkt, dass wir noch ganz frisch sind.
    »Kein Grund zur Panik«, beschwichtigt Maela, die offenbar die Anspannung ihrer Zuhörerinnen bemerkt. »Ihr benutzt einfach eure Finger, um das Gewebe zu lesen. Seht her.«
    An den nächstbesten Webstuhl tretend, streicht Maela mit ihrem langen, gepflegten Finger über die Fläche. Von links nach rechts fährt sie den Stoff in geraden Bahnen nach, bis ihre Hand auf einmal innehält. Maela schließt kurz die Augen und lässt ihren Finger an der entsprechenden Stelle verharren.
    »Hier«, sagt sie. In der Gruppe herrscht vollkommenes Schweigen. »Hier ist es dünner als der Rest. Abgenutzt und verbraucht. Ich kann die Belastung fühlen, die dadurch auf die umliegenden Fasern ausgeübt wird. Sie müssen mehr als ihren gerechten Anteil zum Zusammenhalt des Stoffes beitragen.«
    Keine traut sich zu atmen, als Maela ein langes silbernes Instrument von der Ablage am Rand des Webstuhls nimmt. »Einfach dieses Ende einhaken«, sagt sie, während sie vorsichtig den Haken zwischen den Fasern einführt und eine davon mit einer raschen Bewegung herausreißt. Ein schimmernder Faden hängt von dem Haken herab, sie hält ihn so, dass wir ihn alle gut sehen können. »Ganz einfach.«
    Mir dreht sich der Magen um. Wie fühlt es sich wohl an, entfernt zu werden? Der Faden existiert noch, aber wo ist diese Person jetzt?
    »Wer will anfangen?«, fragt Maela.
    Ein Dutzend Mädchen eilt eifrig nach vorn, um sich zu beweisen. Pryanas Blick trifft meinen, und ich sehe die Angst in ihren Mandelaugen. Wenigstens bin ich nicht die Einzige, der von diesem Test schlecht wird.
    Ein Mädchen nach dem anderen tritt vor und versucht sich an der Aufgabe. Eines reißt beinahe einen ganzen Landstrich heraus, aber Maela kann sie im letzten Moment zurückhalten. Ich frage mich, ob ihre Ungeschicklichkeit sie soeben zu Sklavenleben und Gnadenbrot verurteilt hat. Schon bald sind nur noch Pryana und ich übrig. Ich sehe, wie nervös sie ist, und trete vor – nicht nur, um ihr noch einen Moment Zeit zu verschaffen, sondern auch, um es endlich hinter mich zu bringen.
    Maela führt mich zu einem neuen Stück Stoff. Das Webmuster ist komplexer als das der bisher bearbeiteten Stoffe – Tausende glitzernde Fäden bilden einen Regenbogenteppich aus Licht. Einige Mädchen beäugen das Gewebe besorgt. Es ist viel

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