Cocoon, Band 01
werden.«
Die Gruppe um mich herum wird unruhig. Das freudvolle Gezwitscher, das noch vor einer Stunde zu hören war, weicht stummer Panik.
»Ihr könnt euch allerdings darauf verlassen, dass ihr, hat man euch erst einmal eingeladen … «
Unwillkürlich entschlüpft mir ein Lachen.
»Adelice, ist hier etwas lustig?«, fragt Maela harsch, und alle drehen sich um und starren mich an.
»Ich musste nur gerade an etwas von vorhin denken.« Ich lächle und zwinge mich, ihrem Blick standzuhalten. »Bitte mach weiter.«
Wenn Blicke töten könnten.
»Wie ich gerade sagte … « Maela ist nur kurz aus dem Takt gekommen, aber sicherlich habe ich unnötigerweise ihre Aufmerksamkeit auf mich gezogen. »… werdet ihr alle weiterhin hier im Konvent arbeiten. Viele von denen, die aus dem Web- und Stickvorgang ausgeschieden sind, sind in ihren Stellungen hier sehr zufrieden.«
Beispielsweise die Zimmermädchen und Butler.
»Es wird immer einen Platz für euch geben.« Maela lächelt knapp, aber aufmunternd. Und die meisten Mädchen sehen nun versöhnt aus, einige scheinen jedoch noch über das nachzudenken, was sie gerade gehört haben.
»Eine der wichtigsten Aufgaben beim Weben ist die Entfernung von schwachen Fasern. Jede Person, jedes Ding, jeder Ort in Arras hat seinen eigenen Faden – beziehungsweise, im Falle von Orten, eine Stückchen Gewebe. Wir erhalten Arras, indem wir Fasern umverteilen, hinzufügen und entfernen. Ist ein Faden schwach, gefährdet das auch andere in seiner Umgebung. Wir müssen sie sorgfältig reparieren oder ersetzen, aber manchmal müssen wir sie auch ganz entfernen.«
Sie wendet sich jetzt direkt an mich. »Wenn zu viele Fasern schwach sind, geraten größere Gebiete in Gefahr, und das, wie ihr euch denken könnt, gefährdet die Allgemeinheit.« Sie unterbricht den Blickkontakt mit mir, um Zustimmung heischend ins Publikum zu schauen.
Die anderen Kandidatinnen nicken. Ich nicht. Pryana neben mir stößt mich an, wie um mich zum Mitmachen aufzufordern.
Keiner stellt irgendwelche Fragen. Alle nicken synchron mit den Köpfen, als ob es egal wäre, warum wir das alles machen sollen. Wir müssen tun, was die Gilde von uns verlangt, weil sie sagt, dass es wichtig ist. Macht das langsame An- und Abschwellen der Zeitbänder sie kein bisschen neugierig? Wollen sie nicht wissen, wie die Maschinen uns bei der Arbeit unterstützen? Ich, als Maelas unwillkommenste Schülerin, bin die Falsche, diese Fragen zu stellen, und sonst scheint sich niemand dafür zu interessieren.
»Heute werdet ihr eure erste Entfernung vornehmen«, teilt Maela uns mit.
»Meinst du damit das Auftrennen?«, fragt Pryana. Einen kurzen Augenblick lang wird Ungeduld in Maelas Antlitz sichtbar, aber sie bleibt ruhig.
Ich mag Pryana und will mich mit ihr anfreunden – das wird Enora freuen.
»Ja, manche Leute nennen es so. Ich persönlich finde diesen Ausdruck vulgär.« Maelas Tonfall bleibt ruhig, nur ihr Gesicht verrät ihre Anspannung.
Ich finde das alles vulgär, aber ich halte den Mund, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit von ihr oder ihren ergebenen Schülerinnen auf mich zu ziehen.
Maela nickt Erik zu, woraufhin er mit zwei Schritten zur Wand geht und einige Knöpfe drückt. Die anderen Mädchen beobachten ihn. Pryanas Blick wird beinahe gierig, als er dicht an uns vorbeikommt. Sobald er den Code eingegeben hat, erscheinen glitzernde, fast transparente Stoffe auf den Webstühlen im Raum. Das veranlasst die Mädchen schließlich, ihre Blicke von Erik abzuwenden. Einige schnappen nach Luft, und eine weicht sogar zurück, als würde schon der pure Anblick des Stoffes ihr Angst machen.
Für Mädchen, die bisher nur einen Übungsrahmen beim Testen in die Finger bekommen haben, muss dieser Blick auf Arras überwältigend sein. Obwohl ich das Gewebe schon mein ganzes Leben lang sehen konnte, spüre ich jetzt, wo der aufgespannte Stoff sich uns darbietet, ein Kribbeln im Bauch.
»Könnt ihr das Gewebe ohne Webstuhl sehen?« Die Frage rutscht mir einfach heraus, aber ich muss endlich wissen, wie sehr ich mich von den andern unterscheide.
Erik schaut mich neugierig an, doch Maela wirkt langsam wirklich verärgert.
»Nein, das ist doch lächerlich. Das Gewebe besteht aus der Zeit und Materie, die wir selbst bewohnen. Natürlich kann man das nicht einfach sehen«, blafft sie mich an.
Nur dass ich das natürlich kann. Aber offensichtlich kann sie es nicht, und den verwirrten Blicken der anderen entnehme ich, dass sie es auch
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