Cocoon, Band 01
Politikern und ihren Frauen wieder. Wenn ich nicht gerade an dem Weinglas nippe, das Cormac mir gebracht hat, halte ich den Kopf gesenkt. Als Loricel ihren Platz einnimmt, löst sich die Panik in meiner Brust, ich entspanne mich. Doch sie starrt nur zum Podium hinauf und bläst Luft durch ihre beinahe geschlossenen Lippen. Die anderen Frauen nehmen sie genauso wenig zur Kenntnis wie mich. Stattdessen kichern sie über das eine oder andere Kleid oder einen neuen Glatzkopf, während die Männer über Politik und Persönlichkeiten diskutieren, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Ich empfinde inzwischen innige Dankbarkeit für den Wein, auch wenn er mir höllisch in der Kehle brennt.
Bedienungen erscheinen mit riesigen Silbertabletts, und ich staune über ihre Fähigkeit, sie zu balancieren. Die meisten Kellner sind hagere Leiharbeiter aus der Unterschicht, die man für diesen Anlass angeheuert hat. Weniger Rationen bedeuten weniger Essen, und das wiederum bedeutet weniger Muskeln. Doch sie bedienen und balancieren die Tabletts mit Leichtigkeit und Präzision. Immerhin gibt es nun endlich etwas zwischen die Zähne. Erwartungsvoll falte ich meine Serviette auseinander, doch Cormac nimmt sie mir aus der Hand und legt sie wieder hin.
»Nicht, bevor sie dir deinen Teller bringen«, murmelt er. Angesichts meines Fauxpas schleicht sich eine Spur Entsetzen in seinen Ton.
Danach halte ich den Blick auf meinen Teller gerichtet. Ein bitterer grüner Salat mit Obststücken und süßem Dressing. Haifischflossensuppe mit Lauch. Für die Männer ein dickes, blutiges Steak und für die Frauen kleine Hühnchenstreifen auf einem Reisbett. Ich kann es mir nicht verkneifen, Cormacs Essen neidisch zu beäugen.
»Da«, sagt er und hält mir eine Gabel hin. »Du siehst aus, als wärst du am Verkümmern.«
Ich genieße den saftigen Bissen Fleisch, und die Frau mir gegenüber starrt mich dabei an.
»Magdalena!«, sagt Cormac mit gespielter Strenge, und sie kichert.
»Ich weiß nicht, wann ich zum letzten Mal gesehen habe, wie eine Frau Rind isst«, gesteht sie, und die beiden anderen Ehegattinnen am Tisch lachen zustimmend.
»Im Konvent essen wir oft welches«, sage ich und erröte sogleich, weil ich die Aufmerksamkeit auf mich ziehe.
»Natürlich machst du das«, sagt Magdalena. »Du bekommst auch Drittgen-Erneuerungspflaster. Für uns gibt es nur Zweitgen.«
»Oh.« Ich habe keine Ahnung, wovon sie spricht.
»Ich habe gehört, dass sie schon am Viertgen arbeiten«, meint eine andere Gattin mit gedämpfter Stimme, als sich die Männer wieder der Politik zuwenden.
»Gut, dann werden sie Drittgen endlich auch für uns freigeben«, sagt Magdalena in die Frauenrunde. »Natürlich habe ich nicht die geringste Vorstellung, was Viertgen bewirken könnte.«
»Nach allem, was ich gehört habe, ist es, als ob man in den Mutterleib zurückversetzt wird. Und dann kommt man als Baby wieder raus«, erklärt ihr die andere.
Magdalenas Blick ruht noch immer auf mir. »Ich wäre mit Drittgen zufrieden.«
Ich wende mich um und sehe Loricel, die der Unterhaltung mit leicht hochgezogener Lippe lauscht. Ich frage mich, wie alt sie tatsächlich ist. Wenn ihr so viel zur Verfügung steht, weshalb zeigt sie ihr Alter überhaupt? Oder ist sie etwa schon extrem alt und man sieht es jetzt langsam doch?
»Älter, als du denkst«, murmelt sie, und ich schaue weg, peinlich berührt, weil sie meine Gedanken erraten hat.
Gerade räumen sie die Dessertteller weg und bieten uns Kaffee an, als ein breitschultriger Herr aufs Podium tritt. Er wartet, bis die Gespräche verstummt sind. Es handelt sich um Premierminister Carma, das derzeitige Staatsoberhaupt.
»Seien Sie gegrüßt, Hüter von Arras. Soeben ist ein bedeutsames Jahr für uns vergangen. Wir haben beispiellosen Frieden und Wohlstand erlebt … «
Ich verrenke mir den Hals, um ihn zu sehen, obwohl ich wünschte, ich wäre daheim, wo die Rede unaufdringlich in mein Leben gestreamt werden würde, ohne dass ich meinen ganzen Abend darauf einstellen müsste. Hier jedoch, in Cormacs Nähe, zeichnen Stream-Teams die Reaktionen der Gäste auf. Deshalb wahre ich eine unbewegte Miene. Jemanden, der so uninteressiert aussieht wie ich, werden sie nicht zeigen. Meine Gedanken schweifen zu Jost, und ich frage mich, ob er die Funktionäre bedienen muss. Ich wünsche mir, er würde kommen und mich füttern, wie er es in Cypress getan hat. Ich erinnere mich daran, wie warm und weich seine Jacke in der Zelle
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