Code Delta
als wäre er übergeschnappt. »Sie würden tatsächlich …« Er verstummte, als er das leise Lächeln auf Kings Gesicht entdeckte. »Sie machen Witze? Sie … habe ich etwas übersehen?«
King wich ein Stück beiseite. »Legen Sie Ihr Ohr an die Mauer.«
Alexander beugte sich vor und lauschte an der kalten, nackten Betonwand. Jetzt bemerkte er, dass sie leicht gewölbt war. Und dahinter hörte er … Wasser!
»Es ist ein Drainagerohr«, sagte King. »Und zwar nicht von Merlin erbaut, was bedeutet …«
»Dass ich keine Hemmungen habe, es zu zerstören«, beendete Alexander den Satz. »Zur Seite mit Ihnen.«
Er zog eine kleine Phiole mit einer schwarzen Flüssigkeit hervor. Bevor er davon trank, fragte King: »Würde das auch bei mir funktionieren?«
»Der Adrenalinschub würde Ihr Herz sprengen«, antwortete Alexander. »Und falls Sie lange genug leben sollten, um Ihre neuerworbene Körperkraft einzusetzen, würden Sie sich alle Knochen brechen, weil das Gebräu nämlich nicht unverwundbar macht. Nur die Regenerationsfähigkeit meines Körpers erlaubt mir den Genuss.«
Alexander träufelte sich ein paar Tropfen der Flüssigkeit unter die Zunge. »Sie mögen mich um meine Stärke beneiden, aber dazu gibt es keinen Grund. Es ist kein Vergnügen. Der Schmerz ist …« – Alexanders Körper erzitterte, als das Adrenalin zuschlug – »… grausam.«
King wich beiseite, während Alexanders Pupillen sich weiteten. Sich auf beide Hände und ein Bein stützend, trat er mit dem anderen Fuß gegen den Beton. Er stöhnte vor Schmerz, wartete kurz und trat dann abermals zu. Beim vierten Versuch entstand ein kleiner Riss. Beim fünften schoss sein Fuß durch den Beton in den dahinterliegenden Hohlraum. Danach brauchte er nicht mehr lange, um das Loch so weit zu vergrößern, dass sie hindurchpassten.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ Alexander sich zurückfallen. »Das Adrenalin klingt ab. Ich brauche jetzt einen Moment Ruhe, um zu regenerieren.«
Erpicht darauf, das enge Gefängnis, das beinahe zu ihrer Gruft geworden wäre, so schnell wie möglich zu verlassen, nickte King und schlüpfte durch das Loch. Sobald er mit der Hüfte hindurch war, rutschte er hinunter und landete im Wasser. Die Drainageröhre war hoch genug, um geduckt darin stehen zu können, und die Luft roch frischer als in der Gruft, wenn auch ein bisschen modrig. Durch einen vertikalen Schacht weiter vorn fiel ein Ring von Sonnenlicht herein, genug, um sehen zu können. »Da ist ein Ausgang«, sagte King.
Aber die Freude über ihr Entkommen war von kurzer Dauer, denn seltsame Geräusche drangen in die Röhre. Erst klang es wie bei einem großen Sportereignis – lautes Geschrei, das mit dem Hin und Her des Spiels auf- und abebbte. Doch in der Kakophonie lag kein Jubel. Sondern nacktes Entsetzen. King vermutete, dass sie sich unter dem Parkplatz von Stonehenge befanden, und das bedeutete …
Er steckte den Kopf in die Gruft zurück, der er gerade entkommen war. »Alexander! Der Parkplatz wird angegriffen!«
Alexander sprang zu King heraus, und sie hasteten auf den Kreis aus Sonnenlicht zu. Sie stellten fest, dass Metallsprossen zu einem Kanaldeckel emporführten. King trat beiseite.
»Sie zuerst«, sagte er. »Falls das Ding klemmt.«
Alexander erklomm die Leiter und lockerte mit zwei schnellen Schlägen den Kanaldeckel, der mit metallischem Schaben zur Seite glitt. Er streckte den Kopf ins Freie und erstarrte. Mit einem verdrießlichen Aufstöhnen hievte er sich ins Tageslicht. King kletterte ihm hinterher.
Die frische Luft war eine Wohltat. Doch was er sah, entstammte direkt einem Alptraum.
56 El Mirador, Guatemala
Die Wolkendecke war wieder dichter geworden und schirmte das Licht der aufgehenden Sonne ab. Unter dem dicken Blätterdach des Urwalds herrschte düsteres Zwielicht. Doch es flackerten immer wieder Blitze auf, so dass Knight die flüchtende Zielperson im Blick behalten konnte. Mit seinen scharfen Augen sah er Ridley zwischen den hohen, dünnen Stämmen des Dschungels hindurchhuschen. Der große Mann war ein schwerfälliger Läufer, wurde dafür aber nicht müde. Knight musste ihn rasch überwältigen – vor allem, weil er auf direktem Weg zurück zum Camp rannte, wo er massenhaft Geiseln finden würde.
Trotz des üppigen Dschungeldachs voller riesiger Blätter war der Boden so gut wie frei von Vegetation. Knight beschleunigte sein Tempo. Während Ridley in einer Art Zickzackkurs lief, wahrscheinlich aus Furcht vor einer
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