Codename Azteke
sie ihm das Zimmer auf der anderen Seite des Innenhofs im ersten Stock zeigte, und verlangte das Abendessen, das sie soeben gewonnen hatte.
»Und welchen armen Teufel haben Sie dafür nach unten vertrieben?«, erkundigte sich Jack später beim Essen.
»Wohl kaum einen Teufel«, erwiderte sie lachend. »Einen peruanischen Priester! Er war auch noch nie hier – und er kommt erst morgen.«
Hadley schüttelte missbilligend den Kopf.
»Er weiß ja nichts davon«, sagte Mercedes und versuchte erfolglos, schuldbewusst dreinzublicken, obwohl sie in Wirklichkeit äußerst zufrieden war.
Als Jacks Frau ihm unerwartet eröffnet hatte, dass sie sich in jemand anderen verliebt hatte, und hoffte, dass Jack ausziehen würde – den Kindern zuliebe, wie sie es ausdrückte – , war ihre Ehe bereits abgekühlt, wenn sie auch ein freundschaftliches Verhältnis hatten. Dennoch hatte ihn die Erfahrung erschüttert.
Spanien hatte schon seit einiger Zeit auf seiner Agenda gestanden, und als das Angebot aus Salamanca bestätigt
wurde, bot es Jack eine willkommene Fluchtmöglichkeit und Abwechslung. Er würde natürlich die Kinder vermissen, aber sie waren noch klein und würden sich bald daran gewöhnen, und zumindest im Augenblick schien er kaum eine Wahl zu haben.
In Spanien stürzte er sich sogleich in die Arbeit und verbrachte die Abende meist lesend oder schreibend in seinem Zimmer. Gelegentlich ging er spazieren und bewunderte die Schätze der Stadt, aber für sich persönlich hatte er vorerst keine Pläne.
Er hatte sich mit Jean-Luc Hendaye angefreundet, einem höflichen französischen Historiker in Jacks Alter, und mit Tatiana, der äußerst blassen Tochter eines russischen Oligarchen. Man sah sie oft an Jean-Lucs Arm. Jack begann, seine Wochenenden in ihrer Gesellschaft zu verbringen, und das bildete den Anfang seines gesellschaftlichen Lebens. Tatiana »versorgte« ihn sogar mit einer weiteren russischen Blondine, die aus dem Nichts auftauchte, doch die Beziehung, wenn man sie denn eine nennen konnte, hielt nicht lange.
Sein Essen mit Mercedes an diesem Abend war das erste Date, das Jack seit seiner Abreise aus London hatte. Sie aßen unter sternenbedecktem Himmel an den Bögen der Plaza Mayor und tauschten ihre Lebensgeschichten aus. Das beeindruckende dreistöckige Meisterwerk des Barock war gleichmäßig, aber unaufdringlich an allen vier Seiten beleuchtet. Am gegenüberliegenden Ende des Platzes hatte man über dem Rathaus ein zehn Meter langes Banner mit dem Spruch des früheren Rektors Unamuno zu Franco aufgehängt: Sie werden siegen, weil Sie die Macht haben, aber überzeugen werden Sie nie!
Mercedes erzählte, dass sie nach vier Jahren in Genf, wo sie für Santander gearbeitet und mit einem amerikanischen Bankier zusammengelebt hatte, nach Spanien zurückgekehrt war.
»Was ist dort denn passiert?«, fragte Jack vorsichtig.
Sie zuckte mit den Schultern. »Er wurde nach New York zurückbeordert. Ich wollte nicht mitgehen.« Weitere Informationen wollte sie offenbar nicht preisgeben, und Jack drängte sie nicht. Doch es überraschte ihn, dass er sich eingestehen musste, froh darüber zu sein.
Ihre Familie pflanzte in Valencia Orangen an, erzählte Mercedes, viele Orangen, wie Jack später erfuhr, doch in diesem Moment achtete er nicht darauf und maß der Bemerkung keine Bedeutung bei. Sie sprach liebevoll von ihren Eltern und dass sie ein Einzelkind war.
Als sie nach dem Essen ihren Kaffee nahmen, erschien die Tuna der Universität. Sie kamen in ihren mittelalterlichen Kostümen, den übergroßen weißen Krägen und den Ärmeln, die sich von den schwarzen Wämsern und Umhängen abhoben, und nur die Schärpen verliehen ihnen ein wenig Farbe. Sie stimmten ihre Gitarren und Mandolinen und schlugen mit typischer Begeisterung auf ihre Tambourine ein, genau wie es die armen Studenten im Mittelalter getan hatten, um sich ihr Mittagessen zu verdienen.
Im einundzwanzigsten Jahrhundert brauchte ein Student nicht nur musikalisches Talent, wenn er in eine Tuna aufgenommen werden wollte, er brauchte auch ziemlich viel Humor – an ihren Gürteln hingen immer noch hölzerne Löffel und Gabeln, falls sich die Gelegenheit für eine kostenlose Mahlzeit ergab –, musste beliebt sein und Ausdauer haben.
Sie blieben keine zehn Meter von Jack und Mercedes entfernt stehen und begannen zur allgemeinen Freude der Einheimischen, Studenten und Touristen mit einer Auswahl an traditionellen Liedern. Sie machten von ihrem Recht der
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