Codename Azteke
aus wie hundertsechs«, erwiderte Florin. »Etwas zu trinken, Miriam«, befahl er dann und fügte, bevor sie im Haus verschwand, schnell hinzu: »Für den General einen Wodka!«
Mercer sah tatsächlich nicht gut aus. Der größte Teil
seiner oft fotografierten Mähne war verschwunden, und seine dunkel gebräunte Haut hatte eine blutleere graue Farbe angenommen. Er war nie sehr groß gewesen, doch dadurch, dass er jetzt leicht gebückt ging, wirkte er geradezu gebrechlich.
Florin erkundigte sich nach Mercers Familie, auch wenn er wusste, dass es ihnen gut ging – in einem modernen Spanien, einem sozialistisch-monarchistischen Spanien, das sich vor so vielen Jahren, als sie beide für ihre Träume gekämpft hatten, keiner der zwei Männer hatte vorstellen können.
Wie die meisten von Florins Freunden fragte auch Mercer nicht nach dem persönlichen Befinden des Mexikaners.
»Was hast du so lange getrieben? Du bist seit einer Woche in Kuba!«, schalt ihn Florin.
»Du weißt doch, wie es ist. Ich war bei Fidel.« Mercer senkte die Stimme. »Der sieht richtig beschissen aus. Und Raúl wollte überall mit mir hin. Das hier ist also sozusagen mein erster freier Tag, und da bin ich!«
»Ihr Gallegos haltet doch alle zusammen«, amüsierte sich Florin. Die Eltern der Castros waren ebenso wie Mercer in Galizien geboren.
»Ich rechne nicht damit, Kuba noch einmal zu sehen«, sagte Mercer langsam und ließ den Blick über das Meer schweifen. Vielleicht dachte er an seine frühe Jugend in dem karibischen Land, wo er sowohl den Kommunismus als auch die Politik entdeckt hatte.
Truenos kam mit einem Tablett und stellte eine Flasche Stolichnaya und einen Kübel Eis auf den niedrigen Tisch. Doch Mercer lehnte das Eis ab, und die Ordonnanz goss
dem General einen ordentlichen Wodka ein und machte eine Flasche Bier für Florin auf.
»Passen Sie mal aufs Feuer auf, Truenos«, befahl Florin und wandte sich an Mercer. »Du isst doch mit mir, ja?«
Sie tranken auf alte Zeiten und abwesende Freunde. Mercer stand neben dem Grill, während Florin Schweinefleischspieße auf die Kohlen legte. Sie machten zusammen einen Salat und redeten über die wenigen alten Kameraden, die noch am Leben waren.
»Diesen Winter bin ich Pinto über den Weg gelaufen«, erklärte Mercer beiläufig.
»Pinto?« Florin schien sich nicht an den Namen zu erinnern.
»Roberto Pinto, das CNI-Wiesel.«
»Ach, der Pinto!« Plötzlich klang Florin interessiert.
In den letzten acht Jahren hatte sich Pinto bis zur Nummer zwei im spanischen Geheimdienst hochgearbeitet. Spanien war zwar kein Problem für Kuba, es war allerdings auch nicht sein bester Freund. Unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Felipe González waren sich die beiden Länder vor allem in wirtschaftlichen Belangen nähergekommen. Doch im CESID – dem Vorgänger des CNI – waren viele Militärs der alten Schule, und weder Florin noch Mercer hatten ihnen je ganz vertraut.
»Ja«, fuhr Mercer fort. »Wir haben uns bei der Beerdigung eines alten Kameraden getroffen. Im Tal.«
»Und wer ist da gestorben, dass ihr beide an der Beerdigung teilnehmt?«
»Genau«, stimmte Mercer zu und ging, um sein Glas aufzufüllen. »Genau das habe ich mir auch gedacht.«
Er schenkte sich einen weiteren Wodka ein und brachte Florin noch ein Cristal.
»Nein, ich glaube nicht, dass das ein zufälliges Treffen war.«
»Und was wollte Pinto?«
»Er begann damit, dass er mir weismachen wollte, er sei ein passionierter Münzsammler.«
» Gold münzen?«, hakte Florin sarkastisch nach.
Sie lachten beide.
»Auf jeden Fall gab er dann bald zu, dass er hinter El oro de Moscú her ist.
»Und du hast ihn weggescheucht?«
»Ganz und gar nicht. Eine so goldige Gelegenheit kann ich doch nicht ungenutzt lassen.«
Sie lachten erneut über die Anspielung.
»Ich habe durchblicken lassen, dass du etwas wissen könntest.«
»Na, vielen Dank auch!« Florin sah seinen früheren Kommandanten fragend an. Er begann zu ahnen, worauf er hinauswollte.
»Also«, erklärte Mercer, »der stellvertretende Leiter des spanischen Geheimdienstes glaubt jetzt also, dass du etwas hast, was er gerne haben möchte.«
»Und jetzt muss ich nur noch herausfinden«, schloss Florin den Kreis, »was er haben könnte, was wir wollen. Stimmt’s?«
»Ganz genau, Pendejo ! Wir haben dich gut ausgebildet. Aber genug von den Spionagespielchen.« Mercer rieb sich die Hände. »Dieses Schweinefleisch riecht köstlich. Willst du einem alten Mann
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