Codename Azteke
Man hieß ihn, in einem gut gepolsterten Ledersessel Platz zu nehmen und zu warten.
Ein paar Minuten später steckte eine junge Frau den
Kopf zur Tür herein und fragte ihn, ob er irgendetwas wünsche.
»Was zum Beispiel?« Was sollte er wollen? Einen Anwalt?
»Etwas zu essen oder zu trinken? Capitán Pinto wird gleich bei Ihnen sein.«
Capitán Pinto?
»Ein Glas Wasser wäre nett, vielen Dank.«
Die Tür wurde wieder geschlossen. War sie abgesperrt? War das eine Art Arrest?
Wie zum Teufel, dachte Hadley, sollte irgendetwas von dem, was gestern Nacht gesagt oder getan wurde, das Interesse des CNI geweckt haben? Und wo waren Mercedes und Rosa?
» Mister Hadley!« Pinto trat breit lächelnd ein und verwendete die englische Anrede. Hadley erhob sich, weil es ihm richtig erschien.
»Kaffee? Tee vielleicht?« Er hätte nicht zuvorkommender sein können: Er benahm sich wie ein Bankdirektor, der einen Großkunden begrüßt. »Ich bin Roberto Pinto.« Sie schüttelten sich die Hand.
»Jack Hadley. Ich hatte um Wasser gebeten, vielen Dank.«
»Nun.« Pinto kam gleich zur Sache. Er ließ sich auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder und wirkte völlig entspannt. »Wir haben ein Problem, nicht wahr?«
»Mr Pinto, ich habe keine Ahnung, warum man uns hierhergebracht hat«, gestand Hadley. Er hatte etwas Zeit gehabt, um nachzudenken, und wollte sich nicht völlig unterwerfen. »Ja, wir haben ein kleines Problem.« Er betonte »kleines«, als sei es unbedeutend, und fuhr fort: »Aber warum hat man uns deswegen nach Madrid verschleppt – und vor allem, warum ausgerechnet zum CNI?«
»Mr Hadley!« Pinto neigte sich vor und sagte gelassen: »Eine Privatparty mit drei damit einverstandenen Erwachsenen und ein wenig Koks ist vielleicht ein kleines Problem.« Er hielt inne, doch so, wie er die Worte im Raum stehen ließ, war zu vermuten, dass er noch nicht fertig war.
»Wilde Ausschweifungen mit einem Professor, einer Studentin und einer hohen Zivilbeamtin plus genügend Kokain für eine Hollywood-Premierenparty würde ich, milde gesagt, ein ziemlich ernstes Problem nennen. Und das, noch bevor die Presse davon Wind bekommt… Also«, fuhr er wieder lächelnd fort. »Lassen Sie uns sagen, wir stehen beide auf derselben Seite und müssen sehen, wie wir das Beste aus der Situation machen. Einverstanden?«
»Warum?«, fragte Hadley.
Pinto hob warnend die Hand. »Alles zu seiner Zeit. Nun, sagen Sie mir, woher Sie das Kokain hatten?«
»Das weiß ich nicht.«
»Es stammt also nicht von Ihnen?«
»Nein.«
»Das ist ja nicht sehr kavaliersmäßig«, sagte Pinto grinsend mit einem Blick zur Decke.
»Sollte ich nicht einen Anwalt haben?«
»Gott bewahre!«, rief Pinto entsetzt.
»Können Sie mir dann wenigstens sagen, was zum Teufel hier eigentlich los ist?«
»Glauben Sie an das Schicksal, Mr Hadley?«
»Gelegentlich.«
»Nun, ich tue es«, erklärte Pinto überzeugt. Er stand auf und ging zu einem Telefon auf einem Nebentisch. »Haben Sie heute schon gegessen?«, fragte er offensichtlich besorgt.
»Nein.« Er verspürte plötzlich Hunger.
»Dann unterhalten wir uns beim Essen.«
»Was ist mit den Mädchen?« Plötzlich fiel ihm ein, dass sich Mercedes über Hunger beklagt hatte.
»Um die kümmert man sich schon«, erklärte Pinto abwehrend. Er bestellte Essen am Telefon und kehrte dann zu seinem Platz zurück.
»Das Schicksal, Mr Hadley«, fuhr er fort, »darum geht es hier. Ein außerordentlicher Zufall war es, der mich dazu veranlasst hat, gerade in dem Moment in Ihre Richtung zu sehen, als Sie eine hilfreiche Hand benötigten.«
»Warum? Warum fiel Ihr Blick auf mich?«
»Unsere gemeinsame Verbindung, Mr Hadley, besteht in einem Namen: Jesús María Florin del Valle.«
»Jesús Florin? Ich habe ihn noch nicht einmal getroffen.« Auch Pintos Offenbarung brachte ihn nicht weiter.
» Noch nicht«, betonte Pinto rasch. »Aber, wie wir beide wissen, werden Sie das bald tun. Und hier hat das Schicksal eingegriffen: Zunächst einmal …« Pinto legte die Spitzen seiner Zeigefinger aneinander. »Spanien interessiert sich schon seit langer Zeit für den Azteken. Es geht um nichts Schlimmes, es sind nur ein paar Fragen, deren Beantwortung« – er hielt inne, als überlege er, wie er es am besten ausdrücken sollte – »äußerst hilfreich wäre. Aber wie Sie sicher wissen, ist Florin ein wenig wie ein Einsiedler. Keine Interviews et cetera … Zweitens.« Der Zeigefinger wanderte zum Mittelfinger der anderen Hand.
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