Codename Azteke
lernen –, dann hat es die letzten vierundzwanzig Stunden nie gegeben. Darauf haben Sie mein Wort.«
Pinto erhob sich, um anzudeuten, dass ihre Unterhaltung vorbei war.
»Das war’s also?«, fragte Hadley ungläubig. »Wir können gehen?«
»Sie und Miss Vilanova. Natürlich werden Sie vor Ihrer
Abreise nach Kuba noch einmal herkommen, um Ihre Instruktionen entgegenzunehmen.«
»Und Rosa?«
»Bei Mrs Uribe sieht die Sache anders aus. Sie ist eine Regierungsangestellte und ständig ausländischen Einflüssen ausgesetzt. Jeder Hinweis auf Drogenkonsum muss untersucht werden. Wie ich bereits sagte«, fügte Pinto gönnerhaft hinzu, »wir müssen sichergehen, dass sie geschützt wird.«
11
Rosa Uribe öffnete die Augen gerade weit genug, um die Digitaluhr neben ihrem Bett ablesen zu können. Schläfrig lächelte sie: 6:35 Uhr. Wie an den drei vorangegangenen Morgen zwang sie sich, aus dem Bett zu steigen und die Vorhänge vor dem dreifachen Fenster ihres nach Osten liegenden Hotelzimmers aufzuziehen.
Mit einer weit ausholenden Bewegung schob sie die Vorhänge beiseite und sprang wieder ins Bett, wo sie drei Kissen zusammenballte und ans Kopfende schob, sich bequem dagegenlehnte und sich die Bettdecke unters Kinn zog. Dann blickte sie in die letzten Augenblicke der Dunkelheit und wartete auf den Beginn des Naturschauspiels.
Durch die Fenster sah sie in einigen der Hochhäuser im eleganten Vorort Las Condes die Lichter angehen. Langsam begannen sich die Konturen der Berge dahinter gegen den sanft rosafarbenen Morgenhimmel abzuzeichnen. Ihre Größe ließ sie täuschend nah erscheinen. Sie hielt den Atem an und wartete ab, bis sich das Rosa kurz in Rot verwandelte, bevor die Sonne aus ihrem Versteck hinter den Anden hervorsprang und die Stadt Santiago in gleißendes Licht tauchte.
Das hier war das schönste Hotelzimmer der Welt, fand Rosa. Sie hatte an diesem Tag keine Lust, ins Fitnessstudio
hinunterzugehen; sie hatte am Tag zuvor schon genügend trainiert. Sie hatte sich sogar während dieser ganzen Reise so gesund gefühlt, dass sie ihre Medikamente wieder auf ihr normales Maß herunterfahren konnte. Sie machte sich natürlich keinerlei Illusionen, aber zumindest im Augenblick konnte sie so tun, als ginge das Leben weiter.
Heute würde sie sich ein Frühstück im Bett gönnen, gefolgt von einem langen Bad. Dann würde sie sich im Salon des Hotels die Haare machen lassen und hätte noch ausreichend Zeit, zu ihrer Verabredung in der Botschaft um halb elf zu kommen. Sie liebte die chilenische Hauptstadt, auch wenn die Freude an diesem besonderen Besuch unweigerlich schon allein durch ihren unangenehmen Auftrag geschmälert wurde.
»Es ist diesmal ein wenig politisch, Rosa«, hatte Pinto beim Mittagessen in der Kantine des CNI gesagt.
»Tatsächlich? Wann ist es das nicht, Roberto?«, hatte sie gefragt.
»Vielleicht hätte ich sagen sollen, etwas politischer als sonst«, entgegnete Pinto, »denn es geht nicht wirklich um eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit.«
Im Grunde genommen konnte man es eher mit der sprichwörtlichen heißen Kartoffel vergleichen. Pinto konnte Richter Pinzón nicht richtig durchschauen. Der Richter hatte es sich in den Kopf gesetzt, die Urheber von Verbrechen zu verfolgen, die zwanzig oder dreißig Jahre zuvor in Lateinamerika verübt worden waren, während der blutigen 1970er- und 1980er-Jahre. Er hatte sein Netz weit ausgeworfen: Argentinien, Chile, Uruguay, Guatemala, Nicaragua, Ecuador, El Salvador. Zunächst hatte Pinzón
die zuständige Gerichtsbarkeit eingefordert, weil es sich bei den Opfern um spanische Staatsbürger handelte, eine Behauptung, die durchaus richtig war, wenn auch nur bis zu einem gewissen Punkt: Viele spanische Immigranten, die sich in Lateinamerika niedergelassen hatten, hatten ihre Staatsangehörigkeit behalten und sie so an ihre Kinder und Enkelkinder weitergeben können.
Doch obwohl die Gesetze der meisten Länder in der Region jeden, der innerhalb ihres Territoriums geboren wurde, zu einem Staatsbürger erklärt hatten, erkannten sie durch bilaterale Abkommen mit bestimmten europäischen Staaten eine doppelte Staatsbürgerschaft an. Daher waren viele Südamerikaner der zweiten oder dritten Generation spanische, französische oder italienische Staatsbürger, obwohl die meisten von ihnen nie einen Fuß nach Europa gesetzt hatten.
Später schloss Richter Pinzón als logische Konsequenz, dass, da Spanien zur EU gehörte, sein Madrider Gerichtshof
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