Codename Hélène
wichtig war, aber bei Gefahr hinuntergeschluckt oder vernichtet werden konnte. Das Pendant dazu befand sich in London im SOE -Lagezentrum. Es enthielt genau zweihundert mögliche Schlüsselcodes für Botschaften. Hundert für die Agenten vor Ort, und hundert, um Antworten aus London zu entschlüsseln. Erfunden worden war One Time Pad einst von den Deutschen im Ersten Weltkrieg, weiterentwickelt von Leo Marks, dem fest angestellten Code-Poeten, der ja zumindest einmal, als er sich in Violette Szabo verliebte, tatsächlich zum Poeten wurde. Nach dem Krieg schrieb er Drehbücher für Filme, auch seine Erinnerungen Between Silk and Cyanide . Die durften erst 1998 erscheinen, als die staatlichen britischen Zensoren alles rausgestrichen hatten, was dem deutschen Feind, den es längst nicht mehr gab, nutzen könnte.
Nancy Wake hielt selbst beim höchste Konzentration erfordernden Kodieren ihren Revolver immer griffbereit. Bisher hatte sie nur ein einziges Mal zeigen müssen, was ihr einst beigebracht worden war während der Ausbildung. Als sie zusammen mit vier Maquisards in einen Hinterhalt geriet, hatte sie ohne zu zögern per Bren- MP sich und den anderen einen Fluchtweg freigeschossen. Die toten Deutschen ließen sie liegen. Um die sollten sich deren Einheiten kümmern. Dass sie es war, die ihr Leben beendet hat, lässt sie kalt, das raubt ihr nicht den Schlaf. Es hätte ja auch das ihre kosten können.
Die Männer, die sie in Aktion erlebt hatten, erzählten Tardivat und Farmer und den anderen, wie kaltblütig sie ihre Ziele anvisiert und die Deutschen erledigt habe. Deshalb gab es Wochen später, als sie sich meldete für einen nächtlichen Überfall auf eine Fabrik, nicht die üblichen Proteste, so etwas sei Männersache und sie als Frau möge sich gefälligst raushalten. Sie wurde nicht nur selbstverständlich in die Planungen eingebunden, sondern es wurde auch die von ihr dabei zu erfüllende Rolle festgelegt wie die eines jeden Mannes in der Truppe. Ihr gleichberechtigter Einsatz in der betreffenden Nacht aber sollte mal schwere psychische Folgen für sie haben.
Am Ende ihrer Inspektionstour auf dem Rückweg zum Forêt de Sivret in der Nähe von Ygrande stießen Gaspard und Farmer auf Maquisards, erkennbar an den Lederjacken und den Armbinden, offenbar Waffenbrüder. Plötzlich schossen die auf sie. Die Kugeln prallten am Auto ab. Sie reagierten mit ihrer überlegenen Feuerkraft aus dem Maschinengewehr und trafen drei der Männer tödlich. Dann stiegen sie mit vorgehaltenen Maschinenpistolen aus. Die Gegner ließen ihre Waffen sinken. Gaspard brüllte sie an, wie John Farmer in seinem Bericht rekapitulierte: »What the devil they meant by shooting at us, in view of the fact that we were all fighting for the same cause.« Was zum Teufel sie sich dabei gedacht hätten, auf sie zu schießen, wo sie doch alle für dieselbe Sache kämpfen würden.
In dem Moment jedoch stellte Farmer erschrocken fest, dass sie keinesfalls für dieselbe Sache kämpfen würden, dass es sich keineswegs um Waffenbrüder handelte, wie sie vermutet hatten, sondern um Todfeinde der Milice Française . Ihre dunklen, blauen Uniformen, an denen sie augenblicklich erkennbar gewesen wären, lagen offen auf der Ladefläche des Wagens, den sie als Straßensperre postiert hatten. Gaspard sah das alles im gleichen Moment wie Farmer und entschied sich spontan für eine neue Taktik. Ob sie wahnsinnig geworden seien, sich ausgerechnet als Maquisards zu tarnen? Ob sie nicht wüssten, dass die von den Deutschen erschossen werden wie tollwütige Hunde? Sie sollten sich sofort wieder umziehen, sich auf den Lastwagen begeben und sich schnellstens aus dem Staub machen.
Was die tatsächlich und sofort zum Erstaunen Farmers befolgten, denn »for some incredible reason, although they outnumbered us by at least 50 percent, they got up into their lorry, collected their dead and drove off«. Er hat nie begriffen, warum der Bluff von Gaspard erfolgreich war. Bevor es den Milizionären dämmern würde, dass sie sich nicht etwa von einem autoritären Vichy-Offizier, sondern von einem selbst ernannten Colonel der Résistance hatten wegschicken lassen, obwohl sie dem und seinen Leuten an Mannstärke um mindestens 50 Prozent überlegen waren, verließen Farmer und Gaspard samt den echten Maquisards die Straße und benutzten fortan Feldwege für die Rückfahrt in ihr Quartier.
Die beiden dort eingetroffenen Amerikaner, Lieutenant John Alsop, Deckname Alonce, und
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