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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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hatten sich vor allem viele deutschsprachige Intellektuelle niedergelassen. Insgesamt lebten in dieser Zeit vor dem bald beginnenden Krieg fast 400 0 00 Flüchtlinge in Frankreich, 150 0 00 aus Spanien, rund 40 0 00 aus Deutschland und Österreich. Hitler hatte nach dem Münchner Abkommen 1938 , wo sich ein letztes Mal die Westmächte Frankreich und Großbritannien, im Sinne der vom britischen Premier Neville Chamberlain vertretenen Appeasement-Politik, um des lieben Friedens willen von ihm hatten erpressen lassen, das Sudetenland ertrotzt, was faktisch das Ende der Tschechoslowakei bedeutete. Österreich gehörte ja bereits freiwillig zum Deutschen Reich.
    Im Frühling 1938 war Nancy Wake deshalb zusammen mit einigen ihrer Journalistenfreunde nach Wien gereist. Alle wollten für ihre jeweiligen Arbeitgeber schreiben, was sich sichtbar geändert hatte, seit der »Führer«, gefeiert und umjubelt von hunderttausendfachem »Heil«-Gebrüll, seine Heimat heim ins Reich geholt hatte. Die bisher Unpolitische erlebte hautnah, dass jüdische Bürger gezwungen wurden, kniend per Zahnbürste die Trottoirs zu reinigen, oder von der Polizei aus ihren Häusern geprügelt wurden. Das vergaß sie nie mehr. Immer dann, wenn sie nach dem Krieg gefragt wurde, was der Auslöser gewesen sei für ihren persönlichen Schattenkrieg gegen die Nazis, erwähnte sie stets diese Erlebnisse. Nach ihrem ersten Besuch 1934 war ihr Wien so reizvoll in Erinnerung geblieben wie das Leben in Paris. Die Leichtigkeit des Seins schien auch an der Donau heimisch zu sein. Umso größer, nachhaltiger der Schock nur vier Jahre später. Es kam ihr vor, erinnerte sie sich, als wäre plötzlich ein Spalt zur Hölle aufgebrochen. Das Bild, das sie für ihre Gefühle fand, ist passend gewählt. Die Teufel, die so herrschten, hatten von nun an einen Namen: Nazis.
    Noch ging in Frankreich das Leben für sie weiter wie bisher. Den Sommer verbrachte sie mit einem amerikanischen Freund in Juan-Les-Pins. Er war »ein fantastischer Tänzer«, musste aber wegen anderer Verpflichtungen zurück nach Paris. Sie blieb und hoffte auf ein paar Klatschgeschichten von der Côte d’Azur, die sie bei Hearst auf den gelben Seiten loswerden konnte. Abend für Abend ging sie deshalb aus. Dabei fiel ihr in einem Nightclub ein gut aussehender Mann auf, der sie bewundernd anstarrte. Dass Männer auf sie so reagierten, war sie jedoch gewöhnt und erschien ihr nicht als besonders aufregend. Der Mann trat an ihren Tisch und stellte sich vor: Henri Fiocca. Beide tanzten. Sie fand ihn zwar »charmant, sexy und amüsant«, hielt ihn aber dennoch nur für einen der leichtlebigen Playboys, von denen es an der Côte d’Azur viele gab. Leichtlebig war sie schließlich selbst. Doch dieser eine Mann war nicht wie andere Männer. Der scheinbare Lebemann wurde, auch wenn sein Leben mit ihr nicht lange dauern sollte, ihr Lebensmann.
    Beim Abschied, er wieder zurück zur Arbeit nach Marseille, sie zu ihrer nach Paris, tauschten sie Adressen aus. Er hatte ihr erzählt, dass er zwar in der Hafenstadt lebte und dort seine Geschäfte als Schrotthändler führte, oft jedoch reisen musste zu Kunden und außerdem genügend Geld besaß, jederzeit an jeden Ort zu fahren, um sie zu treffen. War es schon eine große Liebe? Ein coup de foudre ? Hat sie sein so selbstverständlich und nebenbei erwähnter Reichtum beeindruckt, weil er es gar nicht nötig hatte, zu protzen wie andere, die sie umschwärmten?
    In den nächsten Monaten jedenfalls suchte die Journalistin Nancy Wake verstärkt nach Themen, die im Süden Frankreichs angesiedelt waren. Den Spott ihrer Freunde hielt sie aus. Traf dabei regelmäßig und nie zufällig Henri Fiocca. Aus einem unverbindlichen Flirt, wie sie ihn eigentlich zu schätzen liebte, wurde mehr. Anfang 1939 machte er ihr einen Heiratsantrag. Sie bat um Bedenkzeit. Denn die Vorstellung, aus ihrem unbeschwerten Alltag in Paris nach Marseille zu ziehen als Ehefrau eines reichen Kaufmanns, ihren Beruf und die weinselig fröhlichen Runden mit Freunden aufgeben zu müssen, erschien ihr nicht so verlockend. Hatten sie und Henri nicht auch ohne feste Bindung wunderbare Zeiten zu zweit? Warum sollte man die durch eine Ehe gefährden?
    Bei einem Diner im Restaurant Verduns in Marseille wollte sie ihn davon überzeugen, alles zu belassen, wie es war, aber sie kam gar nicht erst zu Wort. Henri Fiocca erklärte ihr, dass er den Gedanken an das Leben, das sie ohne ihn in Paris führte, nicht

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