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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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noch Sympathien für die Nazis. Nach einem Treffen mit Hitler in Berlin druckten seine Zeitungen eine Serie über Hermann Göring. Die allerdings wurde schnell abgebrochen nach Protesten empörter Leser und Boykottdrohungen New Yorker Anzeigenkunden. Der Tycoon gab seinen prodeutschen Kurs auf, als mehr und mehr bekannt wurde über die Verfolgung und Enteignung und Ermordung jüdischer Deutscher.
    Was später in gebotener britischer Distanz in Nancy Wakes Personalakte stehen wird, war in Paris ihre USP , ihre Unique Selling Proposition . Sie war attraktiv, sie war wild, sie war ungebändigt, sogar das Wort »sensationslüstern«, lurid , taucht in den Charakterisierungen auf. Heißblütig sei sie, sultry , in Gesellschaften der Mittelpunkt, um den sich die Männer scharten, sie fasste eben das Leben als einzigen großen Spaß auf. Für die Klasse von Frauen aus dem Bürgertum hatte sie nicht genügend Klasse, Bildung der bürgerlich-klassischen Art konnte sie ebenso wenig vorweisen, eine nur »durchschnittliche Intelligenz« wurde attestiert. Schließlich hatte sie im 16 . Lebensjahr ohne Abschluss die Schule verlassen und sich danach in Schulen des Lebens bewährt, wo es keine Zeugnisse gibt. Nur Erfahrungswerte. Mit der berühmten weiblichen Eleganz von Pariserinnen vermochte sie nicht zu glänzen, weil sie kein Geld besaß, um teure Kleider zu kaufen, aber für Seidenstrümpfe und High Heels und verrückte Hüte reichte es.
    Offen bekannte sie zwar ihre unbändige Lust auf Abenteuer, aber schwieg am Tag danach. Nancy Wake war nie ein flibbertigibbet , kein Klatschmaul. Ihre Abenteuerlust wurde deshalb vom britischen Geheimdienst als positiv vermerkt, denn wer so unerschrocken neugierig mutig war, konnte da eingesetzt werden, wo es gefährlich wurde. Die Eigenschaft der Verschwiegenheit würde außerdem im Feindesland mal überlebensnotwenig sein. Mit üblichen Kriterien wie Schulabschlüssen, Erziehung zur Bildung, angelesenem Wissen ließ sich ihr Intellekt nicht messen. Sie besaß aber das, was man allgemein einen gesunden Menschenverstand nannte, verbunden mit einem sicheren Gespür für Gefahren, einem Instinkt, dem sie vertraute. In Gefahr und Not wählte sie deshalb nie den Mittelweg, sondern entschied sich in Sekundenschnelle, was sie tun musste und was nicht. Andernfalls hätte sie im Untergrund nicht überlebt. Ob sie nie Angst gehabt habe, wurde sie als über Neunzigjährige von einem Rundfunkreporter aus Dublin gefragt. »Never ever«, antwortete sie daraufhin mit ihrer rauchigen Stimme und lachte, als hätte man ihr einen unziemlichen Antrag gemacht.
    Eines Abends lernte sie bei einem ihrer Ausflüge ins Pariser Nachtleben den Schauspieler Harry Bauer kennen. Er war ein Star in Frankreich, hatte in vielen Filmen mitgewirkt, darunter den Inspektor Maigret in Julien Duviviers Thriller Poil de carotte (Karottenkopf) gespielt, war jetzt mit Mitte fünfzig auf dem Höhepunkt seiner Popularität. In Paris sollte er Theater spielen, die Hauptrolle in Maurice Rostands Dreiakter Der Prozess des Oscar W ilde , basierend auf dem Prozess gegen den Dichter, der 1895 wegen »homosexueller Unzucht«, wie die Anklage lautete, zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, nach Verbüßung seiner Haftstrafe England verlassen hatte und 1900 verarmt in Paris gestorben war. Bauer lud Nancy Wake zur Premiere ein. Sie habe während der gesamten Aufführung schluchzen müssen, schrieb sie, sogar noch beim anschließenden nächtlichen Souper im Restaurant.
    Henri-Marie Baur, wie Harry Bauer eigentlich hieß, war Jude. Das wussten die wenigsten, aber das interessierte in Künstlerkreisen niemanden – noch nicht. Es wurden Rasse und Religion erst überlebenswichtig, nachdem die Deutschen in Paris einmarschiert waren. Im Gepäck die Pläne zur Vertreibung der Juden aus Frankreich. Harry Bauer war, wie viele Schauspieler, ein unpolitischer Mensch. Er arrangierte sich mit den neuen Machthabern, denn er wollte ungestört seinen Beruf ausüben, gute Rollen bekommen. Die bekam er. Auch von den Deutschen. Zum Beispiel 1942 die Hauptrolle des Komponisten Stephan Melchior im Film Symphonie des Lebens . Joseph Goebbels war begeistert und sagte das auch nach der Vorführung, fügte allerdings hinzu, er wolle dennoch die ihm übermittelten Vorwürfe der Pariser SS -Dienststelle prüfen, wonach Bauer Jude sei. Weil es ein Skandal gewesen wäre, falls tatsächlich ein Jude in einem deutschen Film hätte mitspielen dürfen. Ein paar Wochen

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