Codename Hélène
ertragen würde. Ja, gab er zu, er sei eifersüchtig. Zwar war er dreizehn Jahre älter als sie, im Vergleich mit ihren jungen Freunden in Paris, besonders mit jenem Amerikaner, mit dem eng Tango tanzend er sie zum ersten Mal gesehen hatte in Juan-Les-Pins, mit seinen vierzig Jahren sogar ein alter Mann, aber er liebe sie und werde für sie sorgen. Sie müsse nur Ja sagen.
Man könnte Vermutungen anstellen, warum sie daraufhin seinen Antrag annahm und ihr freies Leben aufgab. Ob es vielleicht daran lag, dass sie bisher stets auf sich allein gestellt war, verbunden mit allen Risiken des Lebens, und unbewusst festen Halt bei einer Vaterfigur suchte? Doch bereits der Versuch einer derartigen Interpretation muss scheitern, weil es keine Hinweise in ihren Aufzeichnungen gibt. Sein Bekenntnis, eifersüchtig zu sein, notierte sie, habe sie davon überzeugt, dass er es ernst meinte. Denn eifersüchtig sei ja nur jemand, der liebt. Und vergaß nicht zu erwähnen, wie gerührt der Restaurantbesitzer Joseph war und zur Feier des Moments eine Flasche Champagner der Marke Krug öffnen ließ.
Die einzige Konstante in Nancy Wakes bisherigem Lebenslauf war die Abwechslung gewesen, die unstillbare Neugier auf das Abenteuer, das hinter der nächsten Ecke womöglich auf sie wartete. Dem Mädchen, das von sich selbst sagte, eine Art Playgirl zu sein, erschien vielleicht die Ehe eine spannende Alternative zu ihrem bisherigen Leben. Ein Abenteuer der mal ganz anderen Art. Aber schon das ist reine Spekulation. Ein Termin für die Hochzeit war schnell festgelegt, aber zuvor fuhr sie noch nach London, um Freunde zu besuchen. Die Rückfahrt stand an für den 3 . September 1939 . Sie war rechtzeitig im Bahnhof Waterloo.
Aber der Zug nach Dover fiel aus. Genau am Tag ihrer Abreise hatten Großbritannien und Frankreich dem Dritten Reich nach dessen Überfall auf Polen den Krieg erklärt. Fahrpläne, die bis gestern gegolten hatten, waren außer Kraft und Nancy Wakes Rückkehr nach Frankreich gefährdet, weil es für Reisen aufs Festland, erst per Zug und dann mit der Fähre über den Kanal, jetzt neue Bestimmungen unter strengen Auflagen gab. Ein gültiger Pass allein reichte nicht mehr. Hunderte wollten zurück. Sie brauchte zusätzliche Dokumente, zum Beispiel eine schriftliche Garantie, in Frankreich dringend erwünscht zu sein. Es dauerte zehn Tage, bis die von Henri Fiocca in London eintraf.
Als endlich die künftige Madame Fiocca Marseille erreichte, ging ihr Kampf mit der Bürokratie in die nächste Runde. Diesmal mit der französischen. Ihr Ausweis als Bürgerin eines mit Frankreich verbündeten Landes und ihre Geburtsurkunde aus Neuseeland genügten dem Standesbeamten nicht. Er verlangte eine neue beglaubigte Übersetzung. Sie reagierte typisch für Nancy Wake, machte ihm unmissverständlich klar – und in einem Französisch, das in Marseille nicht unbedingt in besseren Kreisen gepflegt wurde –, wohin er sich seine Papiere stecken könne. Nein, die Haare waren es nicht. Dann rief sie Henri an, der sie im Hôtel du Louvre et de la Paix untergebracht hatte, und erklärte ihm, was sie betreffen würde, sei die Hochzeit hiermit geplatzt. Drei Stunden später gab ein Bote die Genehmigungen bei der Rezeption ab. Ihr künftiger Mann, erkannte sie, schien über beste Verbindungen in der Stadt zu verfügen.
Henri Fioccas Familie, konservativ katholisch, war entsetzt über die Wahl ihres Sohnes. Die Braut kam nicht aus ihren Kreisen, wie sie unschwer feststellten nach der ersten Begegnung, womit sie ja auch recht hatten. Eine kirchliche Trauung in Saint-Vincent-de-Paul fiel aus, weil Nancy Wake der Church of England angehörte und nicht bereit war, zu konvertieren. Sie machte sich zwar kaum was aus ihrer Religion, aber wie immer, wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlte, reagierte sie störrisch. Auch der landesüblichen Sitte, wonach die Eltern der Braut die Hochzeitsfeier bezahlten, konnte sie nicht folgen, weil ihre Mutter Ella Wake kein Geld besaß und ihr Vater Charles Wake unbekannt verzogen war. Von ihrer Familie aus dem fernen Australien würde zur Hochzeit niemand kommen. Henri Fiocca löste diskret das Problem. Er übernahm alle Kosten für das Fest, bat sie aber, seinem Vater nichts davon zu sagen.
Am 30 . November 1939 heirateten Nancy Wake und Henri Fiocca im Rathaus von Marseille, danach richtete das Ehepaar einen Empfang im Hôtel du Louvre et de la Paix aus – es wurde ein fröhliches, ein lautes, ein glückseliges
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