Codename Hélène
genau das, in der Tat, war außergewöhnlich in der Macho-Gesellschaft der Résistance, die jedoch ohne den Einsatz tapferer Frauen, Britinnen wie Französinnen, von denen viele ihren Mut mit dem Leben bezahlen mussten, den Deutschen nicht Paroli hätte bieten können.
Mag sogar sein, dass die Vertreter der selbst ernannten »Herrenrasse« deshalb jene Agentinnen von SOE , die sie erwischten, so brutal ermordeten, weil sie es mit ihrer kruden Männerehre nicht vereinbaren konnten, so oft von Frauen besiegt worden zu sein. Denn in ihrem Weltbild hatten die ausschließlich dienende Funktionen, grundsätzlich den Vorgaben der Männer zu folgen und hauptsächlich deren Samen für den soldatischen Nachwuchs zu empfangen. Dass es so viele weibliche KZ -Bewacher gab, spricht nicht gegen diese These. Die waren, gleichermaßen unmenschlich, gleichberechtigt mit den Männern und taten es ihnen gleich.
Als Nancy Wake in Paris ihren ersten Orden entgegennahm, wusste sie von Vera Atkins, was mit denen geschehen war, die so plötzlich im letzten Kriegsjahr bei Nacht und Nebel verschwunden waren. Die »gute Seele« von SOE hatte nach der Kapitulation der Nazis begonnen, sich auf die Suche nach den Verschwundenen zu machen. Auch dann, als Special Operations Executive 1946 seinen Geschäftsbetrieb einstellte, blieb sie auf den Spuren der Opfer und der Täter. Dabei britisch kühl Fakten sammelnd, um die Schuldigen vor Gericht zu bringen und den Opfern posthum einen letzten Dienst zu erweisen.
Die in den Konzentrationslagern von Natzweiler-Struthof und Ravensbrück vollstreckten Todesurteile gegen Andrée Borrel, Sonja Olschanezky, Vera Leigh, Diana Rowden, Denise Bloch, Lilian Rolfe, Violette Szabo waren getreu den deutschen Sekundärtugenden von Pflichterfüllung und Ordnung und Disziplin protokolliert und von den Verantwortlichen samt ihrem Dienstrang unterschrieben worden. Das war hilfreich, um sie wegen Mordes oder Kriegsverbrechen vor Gericht stellen zu können – falls sie noch lebten oder von unauffälligen Helfern heimlich aus dem Land geschafft worden waren. Vera Atkins reiste auf ihren Spuren durch das befreite Europa und suchte Zeugen.
Obwohl die Henker alles unternommen hatten, um ihre Opfer auch nach dem Tod für immer auszulöschen, indem sie ihre Asche verstreuten, wusste Atkins mittlerweile auch, was im KZ Dachau geschehen war, wo vier der vermissten Frauen ermordet wurden: Elaine Plewman, 27 , Madeleine Damerment, 26 , Yolande Beekman, 33 , und Noor Inayat Khan, 29 . Alle gehörten zu Special Operations Executive , alle wurden erschossen.
Von den SOE -Scouts war Yolande Beekman, Codename Mariette, 1942 bei Women’s Auxiliary Air Force ( WAAF ) entdeckt, dann in den üblichen Camps als Funkerin ausgebildet und samt Ausrüstung im September 1943 über Frankreich abgesetzt worden. Sie arbeitete für das Netzwerk Musician und flog auf, weil die deutsche Abwehr aufgrund von Peilungen ihre Sendestation einkreisen konnte. Am 13 . Januar 1944 wurde sie in Saint-Quentin verhaftet, verhört und gefoltert. Sie schwieg. Es folgten einige Monate Haft, wie üblich in Fresnes, dann im Mai die Überstellung ins Gestapo-Hauptquartier in die Avenue Foch. Von dort wurde sie ins Zuchthaus nach Karlsruhe gebracht. In ihrer Zelle benutzte sie nach den Folterungen und Prügeln ihr eigenes Blut und zeichnete auf Papierfetzen ihre Träume. Auf einer Zeichnung ist ein Festmahl zu sehen, auf Deutsch steht geschrieben: »Morgen wir essen so …«, und darunter: »Elise träumt …«. Diese Blätter fand Vera Atkins. Am 11 . September 1944 wurde Yolande, zusammen mit Elaine, Madeleine und Noor, nach Dachau transportiert.
Noor Inayat Khan, Codename Madeleine, Tochter einer Amerikanerin und eines indischen Sufi-Gelehrten, war von SOE ebenfalls bei WAAF entdeckt und als Funkerin, die zudem fließend Französisch sprach, in Guildford ausgebildet worden. In der Beurteilung waren sich die Lehrer einig: Sie erschien ihnen als für einen Einsatz in Frankreich ungeeignet. Erstens könne sie nicht lügen, wozu ein Agent aber imstande sein müsse, zweitens neige sie aufgrund ihres Temperaments zu unüberlegten Handlungen. Buckmaster nahm das zur Kenntnis, aber entschied dennoch, sie im Netzwerk Physician einzusetzen. Es ging ihm dabei ähnlich wie auch beim Einsatzbefehl für Denis Rake: Der Bedarf an Funkern, ohne die kein Circuit funktionieren konnte, war einfach zu groß, als dass Bedenken bei einzelnen Personen wie bei Rake oder Khan eine
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